Draußen sein zu dürfen, ist toll. Wie ist es aber, wenn man draußen sein muss? Ich habe es ausprobiert beim Survival-Training für Mutter und Sohn.
Survival-Training: Die Sache mit dem Stress
Wir kommen zu spät. Viel viel zu spät. Ausgerechnet zum Survivalcamp. Ein Wochenende mal nur mit einem Kind, mit meinem Sohn, der grade in die Pubertät kommt. Ein Alter, in dem er viel zu oft vor Technik sitzt und die Natur ebenso oft vergisst. Deswegen sind wir unterwegs zum Survivalcamp. Nur hat es sich so gut versteckt, dass ich es nicht finde.
Mir klebt schon vor Beginn des Wochenendes der Schweiß an den Haaren, obwohl ich noch keinen Meter durch den Wald gekraucht bin. Was genau wir machen werden? Keine Ahnung. Ich habe irgendwie ein Bild im Kopf von Bundeswehrvideos, in denen Menschen in Tarnkleidung durch den Schlamm robben. Warum auch immer, irgendwie geht das da nicht raus. Und das, obwohl ich weiß, dass Axel einer der friedlichsten Menschen ist, die ich im Wald getroffen habe – möglicherweise auch einer der achtsamsten. Militärisch würde es bei ihm sicher nicht. Aber hat Überleben nicht auch immer was mit durch den Schlamm robben zu tun? Merkwürdig, was für Bilder man so im Kopf hat. Doch der Reihe nach.
Von Axel ist weit und breit keine Spur und ich spüre meine Angst. Haben wir die Gruppe verpasst? Ich hasse es zu spät zu kommen, vor allem zu solchen Anlässen. Andere warten zu lassen ist etwas ganz Blödes, in Gruppen hineinzuplatzen noch viel blöder. Das Gelände mit den Tippis ist so weitläufig. In mir steigt Angst auf: Sind sie jetzt allein los? Finde ich die nicht mehr? Ich irre durchs Gelände. Wahrscheinlich fühlt sich genau so jemand, der sich in der Wildnis verirrt hat. Doch das ist mir in dem Moment nicht klar. Mein Blick wird enger, mein Herz rast, ist kriege leichte Panik und beginne schon, kopflos zu werden. Da sehe ich Axel Trapp, unseren Wildnistrainer, der in gemütlicher Runde mit drei anderen Männern steht. Völlig unmöglich platze ich da hinein, stammele eine Entschuldigung heraus und zische gleich wieder ab, um schnell die Taschen zu holen und die anderen nicht noch länger warten zu lassen. Erst beim Wegdrehen fällt mir auf, dass ich mich noch nicht mal vorgestellt habe. Au weia!
Mit einer Gelassenheit, die gestresste Menschen (wie ich zu dem Zeitpunkt) oftmals schlecht ertragen können, schaut mich Axel an und sagt. „Stress scheint gerade dein Thema zu sein“, setzt sich ruhig hin und wartet, bis ich die Tasche ins Tippi gesteckt habe und fertig bin. Mein zwölfjähriger Sohn ist schon längst angekommen. Er steht in der Gruppe von Männern, als würden sie sich ewig kennen, nein, er ist sogar schon Teil dieser Gemeinschaft. Zusammen gehen wir zum Feuerplatz, räuchern uns ersteinmal mit Salbei und Beifuß ab und dann beginnt ein Redekreis. Wir stellen uns vor und sagen, warum wir da sind. Ein mir sehr bekanntes schamanisches Ritual, das einfach nur gut tut. Es erdet und öffnet die Tür zu einer anderen Welt. Einer Zeit, in der die Zeit stehenbleibt. Und der Stress einfach weggeblasen, in diesem Fall weggeräuchert, ist. Dann fängt Axel auch schon an zu erzählen – von der Dreier-Regel.
Überleben in der Wildnis: Die Dreier-Regel
Es gibt immer drei Aspekte. Wir können drei Wochen überleben ohne…Essen. Wir können drei Tage überleben ohne … Wasser. Was aber wird bedrohlich, wenn es nach drei Stunden nicht aufgefüllt wird? „Die Körperwärme“, sagt Axel zu meiner Überraschung. „Und deswegen müssen wir uns in Notsituationen zuerst immer eine Hütte bauen, einen Unterschlupf.“ Solche Notsituationen gibt es schneller, als man glaubt. Möglicherweise nicht im dicht besiedelten Deutschland, doch wer auf Reisen Wandertouren durch große Nationalparks macht, dem kann soetwas schon mal passieren. Wie etwa einer der Teilnehmer des Survival-Trainings, der eine Reise mit dem Rad durch die USA plant. Er hat dieses Wochenende auf seinem eigenen Blog beschrieben.
Wir ziehen in den Wald und Axel lässt uns selbst herausfinden, wo ein günstiger Platz für eine Hütte sei. Unter Bäumen? Auf einer Lichtung? Wir entscheiden uns für die Lichtung, schauen nach oben, ob keine toten Äste drohen, hinabzufallen und beginnen eine Hütte zu bauen, die letztendlich als Naturschlafsack für Wochen ausreichen würde. Wir schichten Stöcke zu einem Konstrukt und schütten Unmengen an Laub darüber. Mehr als zwei Stunden dauert der Bau dieses einfachen Unterschlupfes – und wir sind zu sechst. Das erstaunt mich, denn die Hütte sieht hinterher aus, als wäre sie in einer halben Stunde entstanden. „Allein braucht ihr für so ein Projekt einen Tag“, mahnt Axel. „Also fangt früh genug damit an.“ Als die Hütte fertig ist und mit einer mindestens armdicken Laubschicht im Inneren ausgefüllt, die als natürliche Isomatte wirkt, staune nicht nur ich, wie lange und aufwändig etwas ist, was in You-tube-Videos immer so schnell und einfach aussieht. „Das ist eben der Unterschied“, meint Axel, „man muss es wirklich einmal machen.“
Survival-Training mit Kind: Wasser kochen ohne Topf
Wir gehen zurück zum Tippi-Platz und lernen zwischendurch viel. Etwa, dass man immer im Kreis läuft, wenn man sich verirrt und vermeintlich geradeaus geht: „Jeder Mensch hat ein stärkeres Bein, mit dem er fester auftritt“, erklärt Axel. Das merke man normalerweise nicht, aber wenn man weite Strecken läuft, ohne feste Orientierung, dann laufe man eben Gefahr, wieder dort anzukommen, wo man gestartet sei, und das sei mehr als frustrierend. Axel gibt uns Tipps, wie wir uns orientieren, wie wir in der Wildnis am besten für Wasser sorgen („Niemals aus dem Flüssen trinken, geht immer zur Quelle oder zu dem Punkt, wo Ihr sicher sein könnt, dass oberhalb keine Kläranlage oder Fabrik ist.“) und zeigt uns Kniffe, wie man Steine zum Funkenschlagen bringt. Ab und zu lauscht er, hört die Vogelstimmen. Nein, er identifiziert nicht, ob er gerade eine Meise oder einen Raben wahrnimmt, sondern er beobachtet, wie die Vögel miteinander kommunizieren. Anhand dessen weiß er genau, ob gerade ein Greifvogel in der Luft ist oder ob sie gerade einfach nur miteinander plappern. Doch das ist gerade nur Nebensache.

Axel Trapp zeigt uns, wie man einen Feuerbogen herstellt und genau damit sind wir die nächsten Stunden beschäftigt. Wir schnitzen und sägen dieses Werkzeug, das mit Reibung Glut erzeugt, die man dann gekonnt in ein Nest aus Heu, Distelsaat und vielleicht etwas Birkenrinde gibt, dann sanft hineinbläst und hoffentlich bald eine Flamme in der Hand hält. Mir will das nicht gelingen, zwei Männer allerdings schaffen es und lassen Flammen aus ihren Händen wachsen. Ein beeindruckendes Bild.
Wildnis-Camp mit Kind: Kochtopf schnitzen
Es ist schon spät und dunkel, wir sitzen noch am Feuer. Eigentlich fallen mir schon die Augen zu, doch es heißt weiterarbeiten, denn wir haben noch kein Gefäß, um unser Wasser abzukochen. Abkochen ist immer besser als aus der Quelle zu trinken, man weiß schließlich nie, ob nicht doch ein totes Tier dort drin gelegen hat oder irgendwelche Keime sich im Wasser verstecken. Dazu sägen wir dicke Äste zu. Darein geben wir dann ein Stück unserer Kohle aus dem Feuer und warten, bis sie ein Loch in den Ast gefressen hat. Das schnitzen wir weg und geben ein neues Stück Kohle hinzu – bis wir eine Schale, Tasse oder einen kleinen Behälter haben. Ich allerdings verbrenne mir schon gleich am Anfang die Hände und gebe auf, wie mein Sohn auch, der ganz müde in den Schlafsack kriecht. Einige der Teilnehmer aber schaffen es ein Stück weit, ein Gefäß zu erschaffen. Doch das ist wie alles draußen, Geduldssache und zum Wasserkochen reicht sie noch lange nicht. Axel holt nun eine Blechtasse, holt Kieselsteine aus dem Feuer, gibt sie ins Wasser und wartet, bis sie es zum sieden bringen. „Auf diese Weise könnt Ihr Euer Wasser unterwegs kochen, es sollte aber 15 Minuten sprudeln und dafür braucht Ihr viele, heiße Steine.“ Kochen ohne Herd – wie praktisch, dann hab ich das auch gleich gelernt.
Am nächsten Morgen sind wir alle gespannt auf Georg, der die Nacht in unserer Laubhütte verbracht hat. Gefroren hat er nicht und bequem war es wohl auch. Aber er konnte sich nicht umdrehen, denn die Hütte war sehr klein. Und ab und zu krabbeln Tiere über die Blätter. Das aber passiert im Tippi genauso wie draußen auch. Wir üben nun weiter das Feuermachen, Axel gibt uns noch viele Tipps, zum Bestehen in der WIldnis, bevor er mit uns auf einen Kräuterspaziergang geht. Knoblauchrauke, Fichtenspitzen, voll mit ihrem Vitamin C oder auch Spitzwegerichköpfchen sind kleine Delikatessen, die jetzt überall am Wegesrand zu finden sind.
Was aber macht man im Herbst oder Winter, wenn es nicht so viel Wildkräuter gibt. „Dann wirst du wohl nicht lange Vegetarier bleiben“, meint Axel trocken und schaut mich fest an. Recht hat er wohl. Ich bin froh, dass ich mir aussuchen kann, was ich esse und vor allem – dass ich ein so bequemes Bett habe. Denn im Tippi war es ganz schön kühl in der Nacht.
Survival-Training: Mein Fazit
Lange bleibt mir dieses Camp im Gedächtnis, mein Sohn und mich hat das Überlebenstraining schwer beeindruckt. Er hat seinen Feuerbogen viel schneller fertiggeschnitzt als ich und auch viele der Wildkräuter schon gekannt. Doch eines haben wir wohl beide gleichermaßen mitgenommen vom Survivaltraining: Dass man keine Angst haben muss, wenn man wirklich draußen allein ist und die Orientierung verloren hat. Wir haben zumindest jetzt eine Ahnung, wie wir uns zurechtfinden. Und dieses Wissen gibt irgendwie ganz anderes Selbstbewusstsein und innere Stärke als vorher. Mit so einer psychologischen Wirkung hätte ich gar nicht gerechnet.
Eigentlich wollte ich diesen Artikel gar nicht schreiben, denn es muss auch mal Dinge jenseits des Bloggerlebens geben. Dinge, die man einfach mal so für sich hat. So war es gedacht. Aber wenn der Sohn dann sagt: Mama, schreibst du das bitte auf deinen Blog, damit wir uns auch an alles erinnern – wie kann ich dann nein sagen? Also habe ich die wenigen Fotos, die ich gemacht habe, zusammengekratzt und einfach mal losgebloggt.
Du willst mehr zu diesem Thema lesen? Das Outdoorzentrum Lahntal ist ein ganz besonderer Ort. Über Axel Trapp habe ich hier schon mal geschrieben, als ich mit ihm im Spessart war. Dort habe ich auch Waldbaden gemacht. Und warum soetwas ein Mikroabenteuer sein kann, das schreibe ich hier. Und unter diesem Link findest du meine Tipps, wir man Tierspuren findet. Und Tipps zur Vogelbeobachtung gibt es bei mir auch.
Axel Trapp ist Wildnispädagoge und macht ganz viele tolle Sachen im Wald. Wer mehr über ihn wissen will, surft mal auf seine Seite: www.wurzeltrapp.de
8 Antworten
Das nenne ich mal ein gelungenes Mutter-Sohn-Wochenende. Klasse.
Danke, liebe Stefanie, und wie ich das erst fand. So richtig gut. Liebe Grüße
Danke dir, dass du alles aufgeschrieben hast, ich freu mich immer sehr, wenn noch mehr Menschen von der Wildnispädagogik erfahren. Da fühle ich mich dir sehr verbunden. Liebe Grüße Kathrin
Liebe Kathrin, wie schön, dich hier zu lesen. Das freut mich wirklich sehr. Ja, das wilde Leben ist wichtig und ich glaube fest, dass mehr und mehr Menschen sich dem auch wieder hinwenden, du machst ja auch so tolle Arbeit! Liebe Grüße
Da geht mir das (Mutter-) Herz auf, wenn ich das lese. Wir wunderbar, dass dein Sohn auf diesen blogeintrag bestanden hat. Hoffentlich inspiriert das noch mehr Mütter, mit ihren Kindern mal solche „Draußensachen“ zu machen! Danke für’s Teilen!
Das ist aber lieb, danke, liebe Simone! Und liebe Grüße
hallo,
deinen jahresrückblick 2022 vermisse ich.
ich weiss, ist hier die verkehrte stelle, bin etwas neugierig, aber deine geschichte ist so spannend.
LG
Danke, liebe(r) Verratichnicht,
über 2022 möchte ich einfach nicht bloggen oder reden.
Danke, dass du nachfragst.
Viele Grüße
Andrea