Reisen ist auch entdecken. Doch wie sieht es eigentlich aus mit der Entdeckerfreude? Gibt es sie heute wirklich noch?
Gibt sie noch, die Entdeckerfreude?
Entdeckerfreude. Das ist vielleicht das, was uns an Kindern fasziniert – und auch am Reisen. Diese ungebremste Freude, Neues zu wagen, neugierig zu sein und Dinge unbedingt in Erfahrung bringen zu wollen. Dank jener starken Antriebskraft haben Seeleute neue Kontinente entdeckt ebenso wie Kinder Jahr für Jahr den Zauberwürfel enträtseln. Aber sind wir nicht grade dabei, diese Entdeckerfreude zu killen?

Das Ende der Neugier?
Auf diesen Gedanken gebracht hat mich der Post von Axel Trapp, den ich als Wildnistrainer sehr schätze. Als ich bei ihm gelesen habe „Deine Antworten töten die Magie“ schnackelte es bei mir im Kopf. Wie ein fehlendes Puzzleteil setzte sich mit diesem Text etwas zusammen, auf dem ich schon lange herumdenke, was nebulös in meinem Hirn herumwaberte und einfach keine Form annehmen wollte. „Warum sind Fragen wichtiger als Antworten? Und warum sind Antworten das Ende der Neugier?“

Weniger Antworten, mehr Fragen
Tatsächlich ist es das, was mich immer aufgeregt hat, vor allem im Umgang mit den Kindern: Menschen, die andere mit Antworten totlabern, die ständig dozieren müssen. Das ermüdet die anderen gerne mal – und nagt an der Freude, Dinge selbst herauszubekommen. Ich liebe dieses neugierige Blitzen in den Augen der Kinder, wenn sie Fragen stellen. Es ist so voller Lebendigkeit und Lebenswille. Ein wenig geht es später auch so bei Menschen, die man grade erst kennenlernt. Dann spielen Zauber und die Magie mit, denn Fragen entfachen so vieles im Inneren. Fragen brauchen Raum, um sich zu entfalten, um im Inneren zu arbeiten. Bekommen sie keinen Raum oder erfahren zu frühe Antworten, sind sie tot. Bämm. Magie platt, wie der Wildnistrainer Trapp sagt.

Das Klingeln der Schneeglöckchen
Es sind Fragestellungen, die Forschungsprojekte anschieben, die Mathematiker Nächte lang wachhalten, die Kindern beim Wachsen helfen. Keine Fragen, die von außen aufgedrückt werden, sondern Fragen, die ganz aus dem Innersten aufsteigen. Meine Tochter fragte mich mal, wie Schneeglöckchen klingeln. Ich antwortete, dass sie ganz genau hinhören sollte, dann würde sie es sicher selbst herausbekommen. So lungerte sie dann ständig bei den Schneeglöckchen herum. Im Frühjahr darauf eröffnete sie mir voller Inbrunst, sie könne das Klingeln der Schneeglöckchen nun deutlich hören. Sie hat gelauscht, selbst erforscht in einer Sache, in der ihr Erwachsene keine Antwort geben konnten, beziehungsweise wollten. Großartig, denn sie hat Erfahrungen gemacht und Antworten gefunden, die aus ihr selbst herausgekommen sind. Ich sehe noch immer das stolze Glitzern in ihren Augen.

Sie hat beobachtet, geforscht, genau hingehört und hingeschaut, um Details zu finden und darin vielleicht auch die Antwort auf die Frage, die im Inneren schwelt. Wer weiß, welche Fragen sie dort noch gefunden hat. Eine Reise ins Innere ist immer gut.

All das wird mit einem Satz zerstört, wenn man eine Antwort gibt. In einer Gesellschaft wie unserer ist das Fragen wichtiger als vieles andere. Es sind die Fragen, die uns voranbringen: Ist es gerecht? Werden wir gleich behandelt und bezahlt, obwohl wir unterschiedlich aussehen? Selbst ein schlichtes „Wie geht es dir“ kann tiefe Gespräche eröffnen.

Der Fluch des Googelns
In einem Kosmos, in dem alle Kontinente Namen tragen und selbst das letzte Urvolk bekannt ist, ist es schwer Neues zu finden. Nicht nur das bremst unsere Entdeckerfreude. Es ist unsere moderne Gesellschaft mit ihren vielen Antworten, die oft nur einen Klick entfernt sind. So gesehen sind Youtube-Tutorials der Killer jeglicher Entdeckerfreude ebenso wie Googles Antworten. Oder Tipps von Reiseblogs wie meinem. Sie haben nichts mehr mit Neugier und Entdeckerfreude zu tun, sondern gleichen eher einer Liste, die es abzuarbeiten gilt. Das ist doppelt schade. Zum einen ist damit eigentlich die ganze Urlaubsstimmung gleich wieder hin, denn sie ist eingefangen in einem Käfig von „Ich muss nochs“ und „das möchte ich aber unbedingt…“ Sie fällt dem Vergleichen zum Opfer und ein Stück weit auch dem Mithalten, Angeben: Schaut mal, wo ich gewesen bin.

Deswegen fände ich es auch beim Reisen gut (ja, ich weiß, ich schreibe mich grade um Kopf und Kragen, denn ich habe schließlich auch so einen Reiseblog mit Tipps), sich mal auf das eigene Gefühl zu verlassen. Wo könnte es schön sein? Wo zieht es dich grade hin? Was sagt die Landkarte, gibt es Wälder, Fjorde, Bäche? Sieht es irgendwo verwunschen aus, wenn man sich die Topografie ansieht? Vielleicht klickst du dich mal weniger durch Ratgeber und Tippseiten, sondern folgst deinem inneren Reiseführer, der Fragen stellt, wie es hinter der nächsten Weggabelung aussieht? Oder du gehst einfach mal den Geräuschen nach. Ist nicht genau das auch Reisen, immer ein wenig Unbekanntes dabei? Erst dann entfacht sich die Entdeckerfreude wirklich.

Und ein kleines Geheimnis zum Schluss: Ich reise nur so. Selbst, wenn ich meine Bücher recherchiere. Grob weiß ich natürlich, wo Weimars Innenstadt liegt und was sie zu bieten hat. Aber ich muss nicht als erstes das Goethehaus ansteuern, sondern lasse mich zunächst einmal treiben und finde interessante Geschäfte, Plätze oder kleine Museen. Ein Abarbeiten von Listen ist für mich kein Reisen, das ist ja dann schon wieder Arbeit. Und es killt tatsächlich jegliche Entdeckerfreude, die ich mir so lange schon bewahrt habe und die mir so wichtig ist.
Ich muss nicht nach Grönland reisen, um Neues zu entdecken, aber wichtig ist, dass ich Raum bekomme. Zeit und genug Unbekanntes vor mir, dass ich beginne, Fragen zu stellen und zu erforschen. Und gerne auch mit offenen Fragen im Gepäck nach Hause fahre, um Dinge zum Nachdenken zu haben, denn daraus entwickelt sich Neues im Inneren. Und meine Antworten finde ich letztendlich nur bei mir, wie es jeder auch für sich tun muss.


4 Antworten
Moin! Das liest sich ein wenig traurig. Entdeckerfreude wird durch die vielen Antworten, die man ganz schnell im Internet findet, gedämpft. Ach nein! Die wahre Entdeckerfreude ist nichts, was mit der Suche nach Antworten zu tun hat. Mit offenen Augen und einem freudigen Herz durch die Welt zu gehen, das ist Entdeckerfreude! Letztens habe ich rund 200m von meiner Haustür einen riesigen golden leuchtenden Baumpilz entdeckt. Was für eine Freude! Und Google brachte mir dann den Namen und mehr.
Listen zum Abhaken mag ich auch nicht. Aber ich habe in der Regel genaue Vorstellungen davon, was ich auf meinen Reisen sehen möchte. Ich informiere mich umfassend vorher darüber. Aber ich halte immer meine Augen geöffnet für die Entdeckungen am Wegesrand. Und nehme mir auch Zeit dafür. Ich muss keine fremden Völker entdecken, ich erlebe meine Entdeckerfreude täglich, auch auf dem Weg zum Supermarkt.
Mit anderen Worten: Ich bin anderer Meinung als Du.
Ich wünsche Dir weiterhin tolle Reisen!
Ulrike
Liebe Ulrike,
ach wie gut, dass man auch anderer Meinung sein kann. Das finde ich immer gut. Schön, wenn du einen Weg gefunden hast, um dir das zu bewahren, das ist so wichtig. Traurig ist es gar nicht, ist finde nur, man sollte sich manches bewusst machen. Liebe Grüße nach Hamburg
Ein super schöner Post. Und: Der kam genau zur rechten Zeit! 🙂
Lg /inka
Danke! Sowas von dir zu lesen, freut mich natürlich besonders. Liebe Grüße