Jetzt duftet es im Wald am besten, nach Übergang zwischen Sommer und Herbst. Wie man die Zeit im Wald am besten verbringt, dafür hat Axel Trapp viele Ideen. Der Wildnistrainer hat mir jetzt seinen Spessart gezeigt.
Das Brummen meines Automotors habe ich noch im Ohr und ich spüre, wie eingeengt mein Blick noch von der Fahrt ist. Manchmal ist man mitten im Wald und kann es gar nicht richtig genießen, weil man so gestresst ist.
„Setz dich erst mal. Ich räuchere jetzt ein wenig“, sagt Axel Trapp und bedeutet mir, auf dem großen Felsbrocken Platz zu nehmen. Räuchern ist immer eine gute Idee. Allein schon der Salbeiduft, der sich nun breit macht, entspannt meinen Geist. Ich schließe die Augen und schnuppere, während der Rauch wie über meinen Kopf, meine Arme und meinen Bauch entlang fliegt. Er soll das Energiefeld säubern, Abräuchern ist eine alte Methode, um Rituale zu beginnen oder in andere Welten zu reisen. Axel Trapp muss es wissen, schließlich hat er in seiner vierjährigen Wildnisausbildung in den USA auch das Wissen der indigenen Völker studiert, da sind die Grenzen zur Mystik fließend.
Er weiß, wie wichtig alte Sagen und Geschichten sind, um eine Verbindung zu dem Stückchen Erde aufzubauen, in den man lebt. Allein schon, um beispielsweise die Namen der Orte besser zu verstehen. Wie etwa Spessart – ein Name, in dem das Wort Specht versteckt sein soll. „Willkommen im Spechtwald“, sagt Axel Trapp auch, als wir in „seinen“ Wald eintreten. Und kaum sind wir angekommen, finden wir auch schon den ersten Baum, in den die harten Schnäbel Löcher gehackt haben. Axel Trapp erklärt nichts, sondern lässt mich einfach loswandern und meine eigenen Schlüsse ziehen. Coyote-Teaching heißt diese Methode, in der der Schüler die Antworten auf die Frage selbst herausfinden muss und das am besten mit allen Sinnen. Axel Trapp weist höchstens auf einen besonderen Baum hin oder zeigt Spuren, aber sagt nicht gleich oberlehrerhaft: Das ist eine Wildschweinfährte, das ist Rotwild.
Nein, ich soll meine Schlüsse schön selbst ziehen. Eine Methode, die mir sofort hilft, mich in das Jetzt zu beamen, weg von Staus und dem Stress der Anfahrt. Denn so sehr ich mich angestrengt habe, dieses Mal klappte es einfach nicht mit dem pünktlich Sein. Da fing der Stau schon in Hildesheim an und das morgens um 7. Ich hatte es geahnt und wollte deswegen auch lieber mit der Bahn in den Spessart fahren, aber als ich diese Idee kundtat, wurde ich nur ausgelacht. „Mit der Bahn hierher? Viel Spaß.“ Tatsächlich war ich froh, das Auto dabei zu haben, denn die Dörfer sind nicht besonders gut an das Verkehrsnetz angebunden und ich hatte sehr ausgefallene Orte auf meinem Plan.
Wie etwa den Beilstein bei Lettgenbrunn. Ein sagenumwobener Platz. Und bestimmt ein Kraftort. Einst befand sich dort eine Burg, heute ist nicht mehr viel davon zu sehen. Als ich an dem großen Felsbrocken vorbeigehe, sträuben sich mir die Nackenhaare und ein Kribbeln läuft meine Wirbelsäule entlang. „Das ist normal, es ist ein außergewöhnlicher Platz“, mehr verrät Axel Trapp nicht und lässt mich selbst fühlen. Zunächst geht es auf den 499 Meter hohen Berg, von dem aus sich ein herrlicher Panoramablick über den Spessart ergibt. Der Sage nach war dort einst ein junger Mann wandern. Als er sich eine blaue Blume an seinen Wanderstab steckte, öffnete sich das Tor zu der sonst verschlossenen Felsenburg und drei schöne Frauen geleiten den Wanderer ins Innere der Burg. Er findet große Schätze, Silber, Edelsteine und Gold, steckt sie sich in die Taschen, als die Frauen sagen: „Vergiss das Beste nicht“. Plötzlich überrascht ein Donnergrollen den Mann und er verlässt fluchtartig die Burg. Gold, Silber und Edelsteine fallen aus seinen Taschen und er vergisst das Beste: Seinen Wanderstab mit der blauen Blume. Dass die Menschen einst glaubten, am Beilstein befinde sich eine Felsenburg, mag man gerne glauben, wenn man an diesem Platz steht. Nicht nur, dass der Felsen aus der Erde aufragt, als sei er hingeworfen (ähnlich wie bei den Externsteinen, nur nicht so touristisch ausgebaut). Fledermäuse flattern in der Dämmerung in die Felshöhlen, die diesen Platz umgeben. In seiner Mitte aber formen die Felsen so etwas wie einen Burgplatz, ein wahrhaft mystischer Ort im Räuberland, wie der Spessart auch heißt. Nicht nur, weil die Luft hier plötzlich viel feuchter und dichter ist, sondern ich fühle mich wie in einer anderen Welt zwischen diesen behütenden Felsbrocken. Wie ein Innenhof tut sich dieser Platz auf.
Wir gehen weiter und es wird wieder weltlicher, denn Axel Trapp zeigt mit dem Finger auf Fährten: Ob Hund oder eine ganz lange Gummischlange (Autoreifen) oder eben Rotwild, das sich vor zwei Wochen noch mitten in der Brunft befand. Es sind wilde Spuren zu sehen, Trittsiegel oder auch Abdrücke der Hinterteile. „Wenn wir Glück haben, finden wir ein Haar“, sagt Trapp und es zeigt sich nicht nur eines, sondern gleich mehrere. „Wildschweine suhlen sich mehr, die zerpflügen den Bogen, Rotwild drückt mehr Pfützen hinein“, erklärt der Wildnispädagoge. Und er kann das, was mich in den Winnetou-Filmen immer am meisten beeindruckt hat. Er kann die Fährten tatsächlich lesen wie ein Buch. Ich frage ihn, ob er sagen kann, wann das Tier hier lang gelaufen sei und wie es aussieht und er zuckt mit den Schultern, als sei es eine seiner leichtesten Aufgaben. Er tippt auf Männchen und einige Stunden vor uns und begründet seine Antwort sogar, indem er Indizien zeigt. Ich bin beeindruckt und habe die Winnetou-Sprüche immer für Karl-May-Latein gehalten, aber anscheinend klappt das wirklich.
Ich merke gar nicht, wie ich abschalte, runterkomme und ganz in die Welt des Waldes eingetaucht bin, noch Stunden könnte ich so mit Axel Trapp weiterziehen. Einem Mann, der einst auch einen stressigen Job hatte als Inhaber einer großen IT-Firma. Und einem Mann, der vielleicht sogar als Berufsmusiker hätte groß rauskommen können, der schon als Vorgruppe von Metallica vor knapp 50.000 Menschen gespielt hat. Das aber ist ihm alles zu hektisch. Er ist fest verwurzelt mit seiner Arbeit und trainiert jetzt mit Kindern und Erwachsenen, wie man im Wald überlebt, wie man Fährten liest oder wie man einfach nur den Stimmen der Natur lauscht. Oder der eigenen, die sich genau an diesen Stellen leise zu Wort meldet. Mehr Informationen über den Axel Trapp gibt es hier.
8 Antworten
Der Spessart ist ein Spechtwald…?! Noch nie gehört und schon gemerkt. Danke für deinen Beitrag!
Du schreibst so toll, dass ich mich gleich mit in den Wald hineinfühlen kann. Ein ganz toller Bericht vom Spessart und eine super Idee den Wald mal anders zu erleben
LG Andrea
Liebe Vanessa, danke fürs Vorbeischauen, das freut mich immer sehr. Ja, ein Spechtwald. Liebe Grüße
Liebe Andrea, oh, danke, das tut gut nach so einer arbeitsreichen Woche so liebe Worte. Der Spessart ist aber auch ein wunderbarer Wald, in dem ich gerne noch länger geblieben wäre. Viele Grüße und lieben Dank für deinen Kommentar
Liebe Andrea,
nach meiner Zwangspause habe ich mir, Deinen Beitrag bis zum Ende aufgehoben, um ihn in aller Ruhe zu lesen.
Es war ein ganz besonderes Erlebnis für mich den Spessart mit Dir zu durchstreifen. Dein Bericht und die Bilder haben mir einen unbekannten und geheimnisvollen Ort näher gebracht. Ohne direkt dabei gewesen zu sein, habe ich doch ebenfalls einige Deiner Empfindungen spüren können.
Ich weiß es klingt verrückt und ich verstehe nicht wie das sein kann.
Hab herzlichen Dank für diese wunderbare Erfahrung.
Ich wünsche Dir ein sehr schönes Wochenende
und sende Dir viele liebe Grüße, Lilo.
Liebe Lilo, Zwangspause klingt nicht schön, ich hoffe, es ist nichts Schlimmes? Da freue ich mich, dass du ausgerechnet meinen Bericht aufgehoben hast, was für eine Ehre. Schön, dich mitgenommen zu haben, es war wirklich ein wunderbarer Spaziergang. Noch mehr Spessart wird es bald hier geben – da darfst du schon gespannt sein!
Liebe Grüße