Kloster Norawank nahe der Stadt Jeghegnadsor zählt zu den schönsten Orten Armeniens. Zu Sonnenuntergang verfärben sich die Felsen knallorange und das Kloster gleich mit. Ein unglaublich schöner Ort.
Der Gnishik-Fluss hat sich tief zwischen die steilen Felsen gefressen. Es ist eine enge Schlucht, in der wir unterwegs sind. Rechts und links ragen Felswände auf. Eben waren wir noch in der Magellan-Höhle und haben den ältesten Schuh der Welt gesehen und möglicherweise auch den ältesten Weinkeller der Welt. Doch das ist alles plötzlich nebensächlich geworden. Der Tag neigt sich dem Ende zu und wir fahren auf einer engen Straße immer weiter in die Berge. Wo es wohl hingeht? Narek, unser armenischer Begleiter, möchte es uns nicht verraten. „Ihr werdet schon sehen“, sagt er und legt Wert darauf, dass es eine Überraschung bleibt.
Im Zangezur Canyon
Und was für eine Überraschung es ist! Er führt uns an den wohl schönsten Ort des Landes – doch das wissen wir natürlich nicht vorher. Narek hat sowieso eine Schwäche für Überraschungen, er wird uns an dem Abend erneut überraschen. Doch das ist eine andere Geschichte.
Die enge Schlucht weitet sich und plötzlich werden aus den dunklen Felsen rotglühende Berge. Eine Landschaft wie aus einem Winnetou-Film: Kaum bewachsene Hänge von Bergen, aufragende, rote Felsen und nirgendwo ein Haus, eine Siedlung zu sehen. Dafür ein Gotteshaus: Das Kloster Norawank befindet sich wie eine Einsiedelei mitten in den Bergen. An der Amaghu-Schlucht gebaut, liegt es wie ein Adlerhorst über der Landschaft.
Die Geschichte des Klosters Norawank geht zurück auf das frühe Mittelalter, schon damals soll dieser Ort ein Heiligtum gewesen sein. Der erste Bau aus dem 9. Jahrhundert fiel aber einem Erdbeben zum Opfer. Heute ist der älteste Part des Klosters die Täuferkirche Surb Karapet. Bekannte armenische Künstler wie die Baukünstler Siranes und Momik haben dort gewirkt. Die Anlage besteht aus mehreren Gebäuden: Das erste Gebäude, das man sieht, ist die Mausoleumskirche, das zweite die Täuferkirche, sie befindet sich etwas weiter hinten auf dem Gelände.
Mausoleumskirche Surb Astvatsatsin
Doch zunächst begrüßt uns die Mausoleumskirche. Sie ist zweigeschossig gebaut und hat oben ein von Säulen getragenes, rundes Türmchen. Der Stein, mit dem sie errichtet worden ist, muss direkt aus den Felsen der Umgebung gehauen sein, denn sie trägt dieselbe Farbe wie die Felswände der umliegenden Berge. Gerade leuchtet sie in einem warmen Orange.
Wer die Mausoleumskirche Surb Astvatsatsin betritt, sieht den ältesten Teil des Komplexes, hier stand schon das erste Gebäude. Die zweite Kirche ist die Täuferkirche Surp Karapet, sie ist dem Heiligen Stephan geweiht und trägt ein konisches Dach. Wie auch die andere Kirche ist sie innen schlicht ausgestattet, jede Menge Kerzen brennen dort und erinnern an die Verstorbenen, denen auf diesem Berg gern ein Licht angezündet wird.
Es ist ein Ort, an dem man zur Ruhe und ins Nachdenken kommt. Bei Sonnenuntergang dort umher zu wandeln, heißt auch immer, sich mit den großen Fragen des Lebens auseinander zu setzen. Was trägt mich durchs Leben? Was bleibt mir? Was ist, das überall auf der Welt zu finden ist, in der Schönheit eines Sonnenuntergangs, einer Begegnung, eines Blickes? Ich bleibe. Wandele still und völlig ergriffen über das Gelände, zünde Kerzen an – und setze mich, um in diese wunderbare Weite der armenischen Berge zu schauen.
Als ich wieder zu Narek, unserem armenischen Begleiter zurückkomme, erzählt er mir, dass dieses sein Lieblingsort sei und er immer mit seinem Vater hierher gekommen sei: Zu Sonnenaufgang, zum Sonnenuntergang, in Sternennächten – und immer habe die Kirche ihm Trost und Halt gegeben. Er lächelt mich an und fragt mich mit seiner tiefen Stimme: „Bist du bereit für eine Geschichte über unsere Kirche?“ Es gibt eine Sage zum Kloster Norawank.
Die Sage zu Kloster Norawank und Momik
Momik war einer der bekanntesten Architekten und Baumeister Armeniens, er lebte im 14. Jahrhundert. Kein Geringerer als Momik war es, der beim Bau dieses neuen Klosters seine Finger im Spiel hatte. Doch es ist eine tragische Geschichte. Denn Momik hatte sich in die schöne Tochter des Fürsten Orbeljan verliebt. Der Vater war außer sich und gegen die Verbindung. Doch die Liebenden ließen sich nicht beirren, so dass der Vater der Tochter dem Baumeister einen Handel anbot: Momik sollte die Hand seiner Tochter bekommen, wenn er innerhalb von drei Jahren die schönste Kirche des Landes errichten könne. Der verliebte Bildhauer machte sich sofort an die Arbeit und errichtete Norwank. Als er an der Kuppel des Tempels die letzten Arbeiten ausführte, kam ein Diener des Königs und stieß ihn herab. Momik fiel zu Boden und starb. Er wurde in Norawank beerdigt – und hat wahrscheinlich die schönste Kirche des Landes errichtet.
Tipps zum Besuch von Kloster Norawank:
- Kleidung: Wie überall in Armenien, sollte man beim Besuch der orthodoxen Gotteshäuser angemessene Kleidung tragen, das heißt: Kurze Hosen, Miniröcke oder Tank-Tops sind tabu. Es ist hilfreich, ein Tuch dabei zu haben, um es sich um die Schulter oder auch um die Hüfte zu binden. Wer kein Tuch dabei hat, die Dame am Eingang des Klosters verteilt gerne Tücher.
- Für ein paar Cent gibt es am Eingang Kerzen zu kaufen – wer ein Licht für seine Verstorbenen anzünden möchte.
- Wie an jedem armenischen Kloster gibt es auch hier Tauben. Es gibt die Sitte, sie fliegen zu lassen und sich etwas zu wünschen. Man kann sie aber auch einfach nur anschauen.
- Die beste Zeit für Kloster Norawank ist der Sonnenuntergang, wenn sich die Steine rotorange färben und man glaubt, man säße mitten im Grand Canyon
Anreise Norawank
Es führt eine kleine Straße nach Norawank, die mit dem eigenen Auto gut zu erreichen ist oder man bucht eine Gruppentour.
