Zwischen Büsum und Friedrichskoog liegt der Speicherkoog. Er sieht schon auf der Landkarte so schön aus, dass ich gleich dorthin wollte.
1. Unberührte Natur an der Nordsee
Mit dem Wasser an der Nordsee ist es ja immer so ein Problem. Mal ist es da und mal ist das Meer einfach so weg. Ich bin wieder einmal zu spät aufgestanden, um zu baden und erst recht, um das Meer zu sehen. Also muss ich mir eine Alternative überlegen, um irgendwie doch noch ans Wasser zu kommen. Ich frage die Wirtin meines Hotels in Oldenwöhrden und sie weiß prompt Rat: „Gehen Sie an den Speicherkoog. Mit etwas Glück sehen Sie dort sogar die Wildpferde.“ Wildpferde? Sie hätte kein besseres Stichwort sagen können, schon zieht es mich an den den Koog, der schon auf der Landkarte so spannend aussah.
2. Unterwegs im Kohlland Dithmarschen
Nicht nur das Wasser lässt sich schwer finden an der Nordsee, manche Orte eben auch, vor allem, wenn es Naturschutzgebiete sind, die keine Straßennamen haben. Denn zwischen Kohlfeld 1 und Kohlfeld 2 führen zwar asphaltierte Feldwege gen Meer, aber weiß ich, ob sie auch dort ankommen? Manchmal enden sie einfach mitten im Nichts. Ja, das Land ist platt und eigentlich sollte man meinen, dass man auf Sicht fahren könnte, das glaubt aber nur der, der an der Nordseeküste bislang nur mit dem Finger auf der Landkarte gefahren ist.
Vor Ort sieht alles ganz anders aus, da tuen sich unerwartet Seen vor einem auf und man fährt einen riesigen Umweg, wenn man die falsche Straße erwischt hat. Oder der Weg endet am Deich – ohne Abbiegemöglichkeiten rechts und links. Und so zögere ich eine Weile, welche Abbiegung ich denn nun nehmen soll zum Speicherkoog. Die schlechteste Entscheidung ist die, die man nicht getroffen hat, also erkläre ich kurzentschlossen den nächsten asphaltierten Feldweg für meinen. Erst später sehe ich, dass es auch eine Ausschilderung gibt, allerdings einige Straßen weiter.
2.1. Möwenschwärme und Konikpferde am Wöhrdener Loch
Ein Bauer pest mit seinem Trecker über diese Straße, hinten holpert der Kohl im Anhänger, der eher aussieht, wie eine große Apfelsinenkiste auf Rädern. Kohlerntezeit in Dithmarschen, ganz eindeutig. Trecker vorbeilassen, weiterfahren und staunen. Der Weg ist der Richtige, die Spontanentscheidung auch, denn schon bald sehe ich eine Art See mit einem Parkplatz und dieses typische Holzhaus auf Stelzen, ein Vogelbeobachtungshäuschen. Und es ist gar nicht so leise, wie an anderen Orten Dithmarschens, sondern ganz schön laut. Es schnattert und flattert um mich herum. Über mir fliegen Möwenschwärme, in der Ferne sehe ich Austernfischer, nur von den Pferden keine Spur. Es ist auch ohne Pferde ein herrlicher Moment. Um mich herum vibriert die Atmosphäre voller Leben, genau das mag ich so an Vögeln: Mit ihrer Anwesenheit verzaubern sie die Luft um einen herum, wirbeln, schnattern oder flattern und zeigen mir überall auf der Welt, dass ich nicht allein unterwegs auch, wenn es noch so einsam scheint. Bis zu 250 verschiedene Vogelarten lassen sich an guten Tagen hier zählen, vor allem während des Frühlings und Herbsts, da die Gegend auf der Vogelfluglinie liegt.
3. Vogelbeobachtung am Speicherkoog
Nordsee mit den Auto ist viel zu schade, also auf in die Natur: Der Salzwind gibt mir gleich eine neue Frisur, meine Haare fühlen sich an, als seien sie mit Omas Wäschestärke behandelt. Der Wind bläst mir rote Farbe in die Wangen und verschafft mir ein angenehmes Kribbeln auf der Haut. Los geht es also, einen kurzen Moment bedauere ich, dass ich keine Inliner mitgenommen habe, denn dieses wäre der perfekte Ort, um dazuhingleiten und voranzukommen in dieser Weite. Doch das lernt man schnell – Eile ist nicht gut, Zeit zu haben ist auch eine Art des Genusses, also lasse ich mich durch die Landschaft treiben und treffe auf Säbelschnäbler, Rauchschwalben und viele andere Vögel, die ich nicht namentlich zuordnen kann.
Diese Vögel kann man am Speicherkoog sehen: Bartmeise, Birkenzeisig, Graureiher, Schwarzkopfmöwe, Teichwasserläufer, Thorshühnchen, Sumpfohreule, Stelzenläufer, Sumpfläufer, Kurzschnabelgans, Isländische Uferschnepfe, Pazifischer Goldregenpfeifer, Mornellregenpfeifer, Weißflügel-Seeschwalbe, Ohrentaucher, Schneeammer, Singschwan, Kornweihe, Fischadler, Seeadler und sogar ein Flamingo wurde dort schon gesichtet.
Über mir fliegt ein Milan und irgendwo in der Ferne sehe ich den Deich mit den kleinen Schafknubbeln. Neben dem Weg tun sich immer wieder Seen (Löcher genannt) auf oder Verbindungskanäle. Flaches Panorama bis zum Deich, der Blick weitet sich ebenso wie sich der Himmel über mir auszudehnen scheint. Gehen und lauschen – dem Gezwitscher draußen und dem Gezwitscher in meinem Kopf, das ich sonst nicht wahrnehme vor lauter „Ich muss noch eben mal“.
4. Der Meldorfer Hafen
Am Meldorfer Hafen angekommen, war es aus mit der Ruhe, dort wuselten Bautaucher am Sperrwerk herum, Neugierige schauten zu – und es gab sogar eine Fischbrötchenbude mit Krabbenbrötchen. Eigentlich esse ich keine Tiere mehr, aber manchmal muss es sein, so wie jetzt. Und nebenbei gibt es gleich noch einen netten Klönschnack mit Fischbudenbesitzerin Uta Schlüter dazu.
Sie erzählt mir von der Renaturierung der Köge, von den vielen Ornitholgen, die gerne herkommen und von den Krabbenpreisen, die zum Herbst hin fallen. Als ich sie fotografiere, scherzt ein Mann mit Fischermütze mich an: „Und warum fotografieren Sie mich nicht? Ich bin ein echter Dithmarscher!“ Wir müssen alle lachen. Ich mag es eigentlich nicht, Menschen zu fotografieren und sie als „Ausstellungsstücke“ zu meinen Geschichten zu stellen, schon gar nicht, wenn sie sich sträuben oder ich sie überreden muss. Klar, wenn es in der Geschichte um die Person oder den Beruf geht, dann muss es sein, doch in exotischen Ländern habe ich immer meine Probleme damit, Menschen, nur weil sie so schön anders aussehen, zur Schau zu stellen. Aber dieser Dithmarscher hat Freude an dem Shooting – und er sieht wunderbar aus mit der Mütze und den windgeschnitzten Linien im Gesicht. Da kann ich einfach nicht nein sagen.
5. Strand am Speicherkoog?
Ich wandere weiter zum Strand, der hier aus Deich und Watt besteht. Das Meer ist wie nach Tideplan erwartet nicht da und ich überlege, ob ich über diese Treppe und den schlickigen Boden an dieser Stelle in die Nordsee gleiten würde, wie es Stefanie vom Blog „In der Nähe bleiben“ getan hat. Eine Antwort gibt es an diesem Tag nicht, denn entweder sind die Zeiten ungünstig oder das Wetter (doofe Ausrede? Vielleicht.) Der Grünstrand und ich – wir beide brauchen noch mal einen Anlauf miteinander.
Stattdessen schaue ich auf die Ferne und höre meinen Gedanken zu, die immer langsamer und leiser werden. Ich könnte hier Tage verbringen. Irgendwann aber muss ich weiter, die nächsten Orte anschauen. Ich spaziere noch ein wenig durch die Landschaft, recke immer wieder meinen Hals, aber die Wildpferde habe ich nicht gesehen. Also habe ich definitiv einen Grund, wiederzukommen. Dann werde ich auch den Grünstrand ausprobieren. Fest vorgenommen.
6. Informationen und Anreise Speicherkoog
Der Speicherkoog ist ein Salzwiesenbiotop, das in der eingedeichten Landschafts Dithmarschen wie eine kleine Arche für die Tierwelt wirken soll, denn mit der Landgewinnung und der Eindeichung sind die wertvollen Salzwiesen verschwunden, die vielen Vögeln ein Refugium waren. Es besteht aus zwei Gebieten, einem Salzwassersee, der immer vom Sperrwerk gespeist wird und seinem Süßwasserpendant, dem Wöhrdener Loch. Bevor die Fläche unter Naturschutz gestellt wurde, war sie fast vegetationslos und karg, heute ist dort etwas entstanden, was vor allem Vögel lieben: Schilfflächen, herrlich zum Verstecken und Brüten, kleine Sanddornbüsche sorgen für Leckerbissen zwischendurch. Drosseln, etwa Wacholderdrosseln, lieben diese Büsche als Nistplätze, aber auch Nonnengänse, Pfeiffenten, Silberreiher, Limikolen sowie Schwäne sind in diesem Gebiet zu sehen. Im Frühjahr und Herbst sind im Naturschutgebiet Wolken von Staren zu sehen.
Zwei große Naturschutzgebiete gehören zum Speicherkoog: Das Kronenloch und das Wöhrdener Loch. Während das Kronenloch vom Sperrwerk am Meldorfer Hafen mit Nordseewasser versorgt wird, ist das nördlich gelegene Wöhrdener Loch schon ein Süßwassergebiet. Um die Landschaft nicht verwalden zu lassen, sondern den Marschwiesencharakter zu behalten, sind nicht nur Schafe als Landschaftspfleger wichtig, weil sie das Gras und eventuelle Baumschösslinge, kurz halten, sondern auch die Wildpferde, genauer gesagt, wilde Ponies, die seit 2004 dort frei leben. Die Korniks sind eine polnische rubuste Rasse, ihr Bestand zählt momentan etwa 50 Tiere. Es gibt eigene Führungen zu den Wildpferden.
Auch andere Blogger haben über den Speicherkoog geschrieben, Stefanie vom Blog In der Nähe bleiben zum Beispiel.
9 Antworten
Sehr schön hast du eine meiner beliebtesten Regionen beschrieben .Nur wenige Kilometer von dort liegt die Hamburger Hallig, die ich immer wieder gern besuche. Klasse Bericht mit sehr schönen Fotos.
Lieber Werner, ach schön, die Hamburger Hallig wollte ich damals auch besuchen, habe es aber nicht mehr geschafft. Schade eigentlich. Wusste ich gar nicht, dass du da auch so gerne bist. Danke fürs Vorbeischauen und liebe Grüße
Dann schau mal auf meinem Blog dort wirst du einen Bericht zur Hamburger Hallig finden .Ich verbringe dort schon mal etwas längere Zeit, da ich auf der dortigen NABU Station bin.
Oh, echt? Du bist da beim Nabu? Großartig, ich surfe nachher mal hin zu dir virtuell. Das ist ja ein Ding, da freue ich mich gerade total.
Ein guter Freund von mir macht dort Beobachtungsdienst und Zählungen .Er ist dort meistens 6 Wochen ich bleibe häufig auch für 14 Tage dort .
Einfach wunderschön geschrieben! Sehr schön, deine Gedanken und Gefühle mit einfließen zu lassen. Irgendwie „tiefer“ als die Beiträge, die ich zuvor von dir gelesen habe…aber ich habe ja noch lange nicht alle gelesen. Es wirkt für mich, ob sich bei dir persönlich etwas geändert hätte in letzter Zeit. Ich konnte richtig eintauchen in deinen Spaziergang. ?
Vielen Dank für diesen tollen Beitrag!
Ganz liebe Grüße an dich! ??♀️
Oh, liebe Amara, danke dir <3 das ist aber lieb. Ja, es hat sich etwas geändert, ich möchte mehr solcher Beiträge machen, wird nicht immer möglich sein, aber vieleicht immer öfter. Da hilft so ein Feedback natürlich ungemein. Ganz liebe Grüße und vielen, vielen Dank für die Motivation
Liebe Andrea, wie schön, dass Dir der Speicherkoog so gefällt. Ich finde das ist ein ganz besonderer Ort; aber das ist auch echt eine Typfrage. Gibt sicher Menschen, die es dort einfach nur leer und reizlos finden. Unbedingt wünsche ich Dir einen zweiten Versuch am Grünstrand. Wobei ich es sehr, sehr warm haben muss, um mich zu wagen.
Vielen Dank fürs Verlinken und ganz liebe Grüße, Stefanie
PS.: Weil Ihr hier in den Kommentaren von der Hamburger Hallig geschnackt habt – der Speicherkoog hat auch eine eigene, ehemalige Hallig. Helmsand; vom Sperrwerk sind es vielleicht so 3 km Richtung Friedrichskoog. Sie ist kleiner als die Hamburger Hallig; gibt auch kein NABU oder Restaurant. Dafür sind dann natürlich auch nicht so viele Menschen dort unterwegs (das liebe ich ja besonders an der Meldorfer Bucht).
PPS: Noch was – wie witzig, dass Du Dich in Dithmarschen auch gern verfährst. Mir passiert das ständig. Und es ist genau wie Du schreibst. Man glaubt, es wäre überhaupt nicht möglich, auf dem platten Land den Weg zu verliren. In Wahrheit ist es aber unmöglich, den richtigen Weg auf Anhieb zu finden.
Liebe Stefanie, ach wie schön, dich hier zu lesen, das freut mich jetzt aber. Ich mag den Ort sehr und spielte schon mit den Gedanken, jetzt im Winter dorthin zu fahren, aber die Anreise ist eben auch etwas weiter. Danke für den Tipp mit der Hallig, das hatte ich bei dir schon gelesen und auf meine Liste gesetzt, die Hallig klang nämlich äußerst spannend und ich bin ja seit diesem Jahr Halligfan geworden. Die Sache mit dem Verfahren ist ja noch etwas fataler in Dithmarschen: Ich habe irgendwann das Navi ausgestellt, weil das offensichtlich nicht auf die Fähren eingestellt war und uns immer den viel längeren Landweg lotsen wollte. Dann standen auf den Verkehrsschildern viel geringere Kilometerangaben als das Navi sagte. Ein bisschen ist Dithmarschen so wie Venedig in langgestreckt: Immer, wenn man irgendwo eine Abkürzung wähnt, kreuzt der Kanal oder ein Fluss den Weg. Ich mag es sehr, man muss umdenken – und über die Dithmarscher Art zu denken, wissen wir beide ja bestens Bescheid.
Danke für dein Vorbeischauen bei mir und viele liebe Grüße
PS: Kälte in der Nordsee macht mir nichts aus, aber beim Grünstrand vielleicht doch? Weil es so eine herrliche Ausrede liefert?