Manche Berufe gibt es fast gar nicht mehr. Schäfer zum Beispiel. Umso schöner, wenn man Menschen trifft, die dieses seltene Handwerk noch ausführen. Ich habe gestern im Spessart Kurt Hartmann getroffen, einen Schäfer und wieder einmal festgestellt: Man muss nicht weit reisen, um Abenteuer zu erleben. Es ist, als hätte ich mich in einen Kindheitstraum zurückgeträumt. Plopp – da steh ich nun in einer anderen Zeit. Und einer anderen Welt. Alles ist gemächlich. Nebel steigt aus dem Tal auf, die Bäume rundherum verfärben sich leicht, es riecht nach Spätsommer und aus der Ferne kommt ein Blöken. Hier im Naturschutzgebiet von Neuengronau reicht der Blick weit über den Spessart, den wohl größten, zusammenhängenden, deutschen Wald. Nur selten gibt das dichte Grün Panoramablicke auf die sanften Hügel frei. Hier ist eine der Stellen.
Dort steht Kurt Hartmann, als sei er gerade aus einem Märchenbuch zu Leben erweckt worden: Sein grauer Rauschebart leuchtet aus seinem wettergegerbten Gesicht, ein heller Hut schützt ihn vor der Sonne, daran hat er ein paar Federn gesteckt. Gestützt auf seinen langen Schäferstock richtet er den Blick in die Ferne. Um ihn herum ein Gewusel von Schafen – und Hunden. Vier Hunde hat er heute mit. Drei stürmen freudig auf mich zu und reiben ihre Schnauzen an meinen Beinen. „Keine Angst“, ruft der Schäfer mir aus der Ferne entgegen. Die Hunde gehorchen nicht nur aufs Wort, sondern auf den Blick. Kein Wunder, mit ihnen ist Kurt Hartmann den ganzen Tag draußen, egal, ob es in Strömen regnet oder eine Hitzewelle über Deutschland zieht.
„Einmal hat mich der Blitz getroffen. Das war 2004. Die Ziege, die fünf Meter hinter mir stand, ist tot umgefallen.“ Er sei durch die Luft geschleudert worden und war eine halbe Stunde bewusstlos. „Doch ich habe überlebt.“ Er hat keinen Krankenwagen gerufen. Sondern sich zwischen seine Tiere gestellt und weiter gehütet. „Die Helligkeit des Blitzes ist unbeschreiblich.“
Jeden Tag zieht sich Hartmann seine schweren, schwarzen Lederstiefel an und geht auf seine Wiese. „Was soll ich machen? Die Schafe haben eben auch bei Regen Hunger“, sagt er schulterzuckend und führt mich mitten in seine Herde. Ich bewundere seinen Wanderstock mit den eingeritzten Blumen. „Das ist Schwarzdorn. Den Stock habe ich unterwegs gefunden, wie schon hundert andere. Mit dem Schnitzen vertreibe ich mir die Zeit“, sagt er und führt mich zu einem Baum, an den ein Haselnuss-, ein Wacholder sowie ein weiterer Schwarzdornstock lehnen.
Während wir durch die Herde gehen, kommt ein Schaf auf uns zugelaufen stubst mich mit seiner Schnauze an. „Das ist die Lisel, die hab ich mit der Hand aufgezogen, deswegen ist sie so zahm.“ Während die anderen Schafe sich nicht um denn Schäfer scheren, geht Lisel artig bei Fuß, ein weiteres Schaf folgt, es sieht trächtig aus. „Nein“, lacht der Schäfer. „Das ist Antonia, die frisst so viel, sie ist einfach nur dick.“ Auch sie wurde mit der Flasche groß, weil die Mutter eine Milchbeutelentzündung hatte.
Schäfer ist seine Leidenschaft, das merkt man Kurt Hartmann an. Er wollte diesen Beruf schon als Kind ausüben, ging schon als er acht Jahre alt war, täglich zu den Schafen. „Mein Herz ging schon immer nach den Schafen“, resümiert er heute. Doch damals verkauften die Schäfer ihre Herden und schulten um, weil das Handwerk nicht mehr einträglich war. Und so wurde er Baumaschinenführer. Doch die Schafe riefen ihn immer wieder und so hielt er sie sich als Hobby. Erst als er in Rente ging, konnte er sich seinen einstigen Berufswunsch erfüllen und sich als Schäfer niederlassen. Geholfen hat ihm dabei auch der Naturschutz, denn die Magerwiesen in Spessart ist etwas ganz Besonderes und müssen gepflegt werden, damit dort keine Büsche hochwachsen und die Kulturlandschaft verkrauten lassen. Deswegen arbeiten seine Tiere in der Wacholderheide des Spassarts als Landschaftspfleger. 200 Schafe und 20 Ziegen wuseln um ihn herum. Und er bleibt bei ihnen, den ganzen Tag. „Bis se all satt sin“, erzählt er in seinem Hessisch. Und weil sie das Kraut so klein halten, haben Orchideen und Enzian eine Chance, auf den Wiesen zu wachsen, ebenso wie Herbstzeitlose.
Auch zu Hause lässt ihn sein Hobby kaum zur Ruhe kommen, dabei ist er schon weit über 70. Dann setzt er sich ans Spinnrad und spinnt die Wolle. Sechs Stunden braucht er für eine Spule. Und die muss dann nochmal mit einem anderen Faden versponnen werden, sonst ist die Wolle zu dünn. „Davon leben kann man nicht, dann würde man verhungern“, sagt er. Nicht der einzige Arbeitsschritt, denn zunächst muss die Wolle gewaschen, später kardiert, also gekämmt werden. „Und wenn das nicht ordentlich gemacht ist, dann hat man lauter kleine Heuhälme drin. Das ist das, was die Oma früher beim Spinnen nicht gesehen hat. Nicht die Wolle kratzt, sondern die Heuhälme, die mit eingesponnen waren.“
Er sei einer der letzten Schäfer, die mit den Tieren auf Wanderschaft gehen. „Es fangen viele an, aber die halten nicht durch. Der Job ist hart.“ Es gibt eben nicht nur Sonnentage so wie diesen heute.
Die Recherche wurde unterstützt von Spessart Tourismus.
14 Antworten
Letztes Jahr ist uns im Harz ein Schäfer mit seiner Herde begegnet, und hier bei uns zieht jedes Jahr i Frühling ein Schäfer über die Wiesen durchs Tal. Kindheitserinnerungen pur. Richtig schöööön!
Danke für Deinen wieder mal tollen Artikel und die Bilder.
Liebe Grüße
Inge
Du hast Recht, Andrea… der Beruf ist leider fast ausgestorben… bei uns hier im nördlichen Umland Berlins kommt in jedem Sommer eine Herde mit ihrem Schäfer und zieht von Wiese und Wiese… Ich freu mich jedes Mal drauf.
Schöne Grüße, Birgit
Liebe Andrea!
Wie Du ja schon aus meinen Kommentaren heraus gelesen haben wirst, lebe ich seit einigen Jahren in einer ländlichen Gegend.
Demzufolge habe ich auch ab und zu die Gelegenheit Schäfern mit ihren Tieren zu begegnen.
Oh ja, hier gibt es sie noch!
Es begeistert mich immer wieder mit welcher Ruhe sie bei ihren Schafen stehen, aber einer der Schäfer schien nicht mehr so gesund zu sein, denn er saß immer auf einer Kiste.
Ab und zu stieg ich aus und plauderte ein wenig mit ihm. Sein Alter konnte ich nicht ausmachen, denn sein Gesicht war sehr von Wind und Wetter gezeichnet.
Er erzählte aus seinem Leben und er sagte dass er froh sei wenn seine Einsamkeit zwischendurch auch manchmal unterbrochen werde. Sei es auch nur durch ein Winken der vorbei fahrenden Leute. Es gäbe ihm das Wissen nicht ganz übersehen zu werden. Es klang ein wenig traurig. Leider habe ich diesen alten Schäfer lange nicht mehr gesehen. Ich hoffe dass es ihm gut geht und er sich mit seinen Schafen und Hunden nur auf anderen Wiesen aufhält….
Mich beeindruckt dieses einfache Leben in der Natur. Zeigt es doch wie wenig der Mensch zum Leben wirklich braucht.
Danke Andrea für Deinen Bericht, der mir die Erinnerung an einen beeindruckenden Menschen brachte. Leider vergisst man zu schnell die Dinge die einem nicht täglich begegnen.
Lieben Gruß,
Lilo
Liebe Lilo, eine schnelle Antwort vom unterwegs-Handy: Ja, solche Begegnungen rücken wieder alles grade, was wir meinen an Bedürfnissen zu haben. Wirklich brauchen wir wenig. Auch Herr Hartmann war ein wenig traurig, als ich mich verabschiedete, weil es eine schöne Abwechslung war. Da ist er so sehr mit der Natur eins, dass er da steht wie ein Baum. Und manchmal eben auch übersehen wird. Danke für deine Worte!
Liebe Grüße
Andrea
Liebe Birgit, danke! Ja, die Schäfer können bestimmte Seiten in uns zum Schwingen bringen, das ist berührend. Danke fürs Vorbeischauen hier
Andrea
Liebe Inge, danke dir für die Worte. Ein Schäfer im Harz ist natürlich auch etwas ganz Besonderes. War bestimmt ein wunderbarer Anblick.
Liebe Grüße
Andrea
Ich mag deinen Erzählstil vom Leben eines besonderen Schäfers und deine Bilder dazu sind super. Vielen Dank für diesen Artikel
LG Andrea
Liebe Andrea, ein schöner, einfühlsamer Artikel.
Wenn ich eine Schafherde sehe, halte ich inzwischen immer erst mal ein wenig inne. Das bringen sicher die Erinnerungen an die Kindheit mit damals noch vielen Schafen auf dem Land mit sich. Und auch der große Respekt vor der Arbeit der Schäfer.
Viele Grüße aus dem Süden!
Liebe Nadine, das stimmt, es hat soess ganz Besonderes, auf Schafe mit Schäfer zu treffen. Schön, dich hier zu lesen. Grüße zurück in den Süden
Liebe Andrea, vielen Dank für diesen schönen Artikel, der ganz viel in mir bewegt hat. Liebe Grüße Kathrin
Liebe Katrin, oh, das freut mich aber. Danke dir fürs Vorbeischauen.
Ein sehr schöner Bericht, der in mir eine Erinnerung weckt ,die jetzt schon zwei Jahre zurück liegt .Ich habe eine Woche lang, einen Wanderschäfer begleitet. War Tag und Nacht mit dem Schäfer, seiner Herde und den Hunden draußen in der Natur .Diese Woch hat mir als erstes gezeigt, das Schäfer kein Beruf sonder eine Berufung ist .Es gehören so viele Dinge zu dieser Tätigkeit, die man nicht erlernen kann ,die trägt er in sich .Sein geübtes Auge hat jede kleinste Veränderung an seinen Tieren bemerkt . Mit sehr Geschick und seinen treuen Hunden hat er schnell diese Tiere aus der Herde geholt und sich angesehen was dem Tier fehlt .Eine Woche die man nicht vergisst, die mir sehr viel gebracht hat. Kann ich nur jedem empfehlen, der mal eine Woche in Ruhe und Einklag der Natur Leben möchte.
Lieber Werner, das ist beneidenswert, eine Woche lang einen Schäfer zu begleiten, muss etwas ganz Tolles sein. Und ja, du hast mit allem Recht, es ist unglaublich, was die Schäfer alles wahrnehmen und sehen, das hat mich stark beeindruckt. Ich denke schon viel an diesen Tag zurück, wie muss das erst sein, wenn man eine ganze Woche unterwegs ist? Liebe Grüße und danke fürs Vorbeischauen bei mir, Feedback freut mich immer sehr