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Retrospektive: Dieses Jahr 2022

Inhaltsverzeichnis

Wie war eigentlich dein Jahr 2022, haben mich einige gefragt. Ein Wort reicht dafür: katastrophal. Ich ringe schon lange mit mir, das zu teilen, was ich im Jahr 22 erlebt habe. Lange wollte ich nicht. Jetzt schreibe ich. Der Grund steht am Ende des Textes.

Die Vorgeschichte

Hier war es still. Lange sehr still. Das soll sich ändern – und ein erster Schritt ist, das alles einmal aufzuschreiben, warum dieser Blog so lange Pause hatte. Ich hatte eine Schreibblockade und wahrscheinlich einen Burn Out, beides zugleich. Und noch vieles andere. Weil das Jahr 2022 ein Ausnahmejahr war, in jeder Hinsicht. Der Blog und ich waren im Notbetrieb. Was ist passiert?

Das Jahr 2022 hat mir die Schuhe ausgezogen. Anders kann ich es nicht sagen. Und wie schlimm das alles war, das merkt man ja erst hinterher. In diesem Falle sehr viel hinterher. Wenn sich die Nerven so langsam erholen und das Herz wieder aufmachen kann. Ich habe gelernt, wenn es still wird um Menschen, dann ist Alarm. Ich war sehr still letztes Jahr auf allen Kanälen. Und ja, es war Alarm.

Angefangen hatte es schon 2021. Ich musste feststellen, dass in meinem ganz nahem Umfeld ein Pädophiler lebt. Ein schlimmes Thema, dessen Facetten noch immer zu wenig behandelt werden. Dieser Mann gehörte zu meinem engen Bekanntenkreis, ich war mit seiner Frau befreundet. Und plötzlich flog alles auf. Ich hörte Geschichten, die ich nicht glauben wollte. Noch weniger wollte ich aber glauben, dass das Thema totgeschwiegen wurde von allen Seiten. Nach langem Ringen mit mir selbst bin ich zur Polizei gegangen und habe Anzeige erstattet, weil es niemand sonst getan hat. Damit begann die Unglückswelle. Es folgten Verhöre und alles, was dazu gehört. Ich hatte Verrat begangen an meinen Bekannten, um andere, kleine Kinder, zu schützen. Ein Gewissenskonflikt und ein Alptraum.

Dann bekam mein Vater Krebs. Musste zur Bestrahlung und kam in ein Sonderforschungsprogramm. Ich konnte diese Nachricht monatelang gar nicht verarbeiten. War im Alarm- und Schockmodus. Rechnete mit jedem Anruf damit, wieder schlechte Neuigkeiten zu bekommen. Meine Nerven lagen blank. Ich hätte Zuwendung und eine Pause gebraucht. Aber als berufstätige, alleinerziehende Mutter ist das mit der Pause so eine Sache. Ich merkte, ich wurde immer unentspannter, aber wie soll man seine Nerven beruhigen, wenn es stets weiter bergab geht?

Die Botschaften der Bäume - wenn Bäume Geschichten erzählen

Meine Tochter war mitten in der Pubertät angelangt und sprach nicht mehr mit mir. Ich verstand es nicht und versuchte wieder und wieder, unser Verhältnis zu verbessern. Nichts zu machen. Sie distanzierte sich immer mehr und bald hatten wir wirklich kein Verhältnis mehr. Sie kam nach Hause und keifte mich an. Da man, wenn man in emotionalen Ausnahmezuständen ist, aber eher ein sicheres Zuhause gebrauchen kann, anstatt ständig Konflikte, zerrte das unglaublich an meinen Nerven. An ihren leider auch. Aber ich konnte ihr die Sicherheit nicht geben, weil mein Leben so war, wie es war. Ich hätte es so gerne getan, aber es ging nicht. Es nutzte nichts. Ich funktionierte. Versorgte meine Hunde und die beiden Pferde, die ich hatte. Und arbeitete noch ganz „nebenbei“. Heute weiß ich gar nicht, wie ich das alles geschafft habe.

Rechtzeitig zum 2. Advent stand mein Haus unter Wasser, weil eine Leitung geplatzt war und das Warmwasser vom Bad im ersten Stock bis in den Keller gelaufen ist, natürlich in meiner Abwesenheit. 1/3 aller Wände waren klitschnass. Ich musste das regeln. Nebenbei gab es auch noch einen Schaden an unserer Gasleitung. Zu Weihnachten lief die laute Trocknung. Stille Nacht?

Badeseen im Harz, welcher ist der schönste?

Meine Nerven fühlten sich an, als wären sie unter Dauerbeschuss. Ich konnte gar keine Ruhe mehr finden, schlief schlecht und konnte mich kaum konzentrieren auf das, was ich tun sollte. Am schönsten war tatsächlich die Zeit bei den Pferden, da hatte ich Ruhe vom Alltag, von den Katastrophen, war einfach nur mit meinen geliebten Ponies. Vielleicht hat das mir die Kraft gegeben, weiterzumachen. Denn das war alles erst der Anfang.

Das grüne Abitur

Ich fühlte mich wie in einem Bombardement an Katastrophen. Hatte nun mit der Versicherung zu tun, mit der Kripo (wegen der Anzeige), hatte ein verkrampftes Herz wegen meines Vaters. Vielleicht hat mir eines geholfen, was mich in der Zeit unglaublich gestresst hat: Ich hatte mich entschieden den Jagdschein zu machen und befand mich mitten im Lernstress. Meine Gründe für den Jagdschein sind für viele nicht nachvollziehbar, da ich Vegetarierin bin und niemals auf Tiere schießen möchte. Aber ich lebe auf dem Land und kenne viele Jäger. Ich mochte das Netzwerk. Für mich ist klar, wenn man Fleisch isst, dann am besten aus Jagd. Jäger wissen, was es bedeutet, ein Tier zu töten und auszunehmen. Ich wollte endlich wissen, was steckt eigentlich hinter den ganzen Vorurteilen, die Menschen von Peta und Co. immer gegen Jäger vorbringen? Ich möchte das aus erster Hand erfahren und mir selbst ein Bild machen. Zudem stamme ich aus einer Jägerfamilie, mein Großvater war Jäger, ich bin am „Grünen Jäger“ aufgewachsen, das Forsthaus befand sich einst in Besitz meiner Urgroßeltern. Mich interessierte alles rund um den Wald und die Tiere – und ich träumte davon, einen Falknerschein zu machen. Nicht, um mir einen Falken zu halten, sondern um das Wissen zu haben und vielleicht mal aushelfen zu können. Das Lernen für den Jagdschein gab mir Stabilität. Belastete mich zwar unglaublich, weil ich mindestens 3x die Woche zur Schulung musste, aber es gab mir eine seltsame Art von Halt. Ebenso wie meine Mitschüler, wir sind schnell zu einer schönen Gemeinschaft zusammengewachsen. Ich hatte Menschen, auf die ich mich verlassen konnte. Und einem Mann an meiner Seite, der „zufällig“ auch Jäger war. Aber der verschwand auch bald wieder.

Das Jahr 22

Das Jahr 2022 kam, und ich musste den Turbo beim Lernen einlegen, um den Jagdschein zu bekommen. Mitten in dieser heißen Phase musste mein Vater sich einer großen OP unterziehen. Ich fuhr nach Bayern – und erschrack, als ich ihn im Krankenhaus sah. Wo waren seine Vitalität, seine Kraft geblieben? Er war schwach. So schnell so schwach geworden. Ich ahnte, dass er eine tickende Zeitbombe war – aber ich wollte es nicht wahr haben.

Mit meiner Tochter wurde das Verhältnis nicht besser, es war zerrüttet. Ich hatte zudem jetzt auch noch finanzielle Sorgen, da die Aufträge ausblieben und ich einfach auch nicht die Kraft hatte, mich um neue Aufträge zu kümmern. Wann denn auch? Mein Tag hat auch nur 24 Stunden und schlafen muss ich auch. Von den Pferden mal ganz zu schweigen, da lief natürlich auch einiges schief.

Wie erkenne ich einen Kraftplatz? Wald, Frühling

Ich schrieb in dieser Zeit mein Weserberglandbuch und war oft auf Fotorecherche und im Stress der Buchabgabe.

Der Frühling kam und es war etwas entspannter. Bei meinem Vater, so sagten die Ärzte, war der Krebs verschwunden. Was eine solche Nachricht an Entspannung bringt, kann sich wohl nur derjenige vorstellen, der es auch selbst erlebt hatte. Eine kurze Ruhe vor dem Sturm. Aufträge flatterten rein. Ich konnte etwas durchatmen und ging auf Recherche. Wir bekamen alle Corona. Nur die beiden ukrainischen Flüchtlinge nicht, die mit uns seit März als WG zusammenwohnten. Das war übrigens eine wundervolle Bereicherung für uns alle. In der ganzen Not sich gegenseitig so zu helfen. Diese Zeit mit den beiden Ukrainerinnen wird mir unvergessen bleiben. Entspannung kam, wir kochten zusammen, saßen oft beim Tee in der Küche. Aber dann kam es umso dicker.

Ich bereitete meine Recherche für das Edelsteinland vor, als mich die Polizei anrief. Meine Mutter war aus dem Altersheim verschwunden. Ok. Passiert ja mal. Ich ging davon aus, dass sie wieder zurück war, weil sich niemand meldete. Doch Irrtum. Sie blieb verschwunden. Es gab aber keine öffentliche Fahndung, meine Mutter war einfach weg. Ich telefonierte täglich mit der Polizei. Es war Nervenkrieg pur. Meine Mutter war verwirrt, ohne Geld und alles verschwunden. Zwei Wochen lang ging das so. Zwei Wochen Angst und schlimmste Befürchtungen. Dann stand die Kripo in meiner Tür. Es war wie im Horrorfilm, sie überbrachten die Todesnachricht und ließen mir seltsame Zettel da. Meine Mutter war tot. Sie lag zwei Wochen im Hochsommer in der Eilenriede, ganz nah am Altersheim und niemand hatte sie gefunden.

Ich spürte, wie in mir alles zusammenbrach. Ich war tief in mir erschüttert von allem, von diesem ganzen Film, in dem ich steckte. Wieder die Kripo, Staatsanwaltschaft, das volle Programm. Bestattung organisieren und keine Zeit für Trauer. Oder einfach nur die vielen Bilder zu verarbeiten, die in meinem Kopf herumschwirrten.

In dieser Woche der Todesnachricht meiner Mutter kam auch die Nachricht von meinem Vater, der Krebs war wieder da. Es waren noch andere, unschöne Dinge, die ich hier nicht ausbreiten möchte. Ich konnte nicht mehr. Immer wieder spulte in meinem Kopf der Film vom Besuch der Kripobeamten ab. Meine Anrufe bei der Polizei. Meine Mutter in der Eilenriede… Doch es half nichts. Ich musste funktionieren. Ich habe Kinder, die durch die Schule gecoacht werden müssen. Und nun hatte ich noch ein zweites Leben, das ich abwickeln musste. Puh.

Papierkrieg ist das eine, die Haushaltsauflösung das andere. Ich war fast jeden Tag in den alten Räumen meiner Mutter, habe alles in die Hand genommen. Mir wurde oft gesagt: „Hol dir doch einen Entrümpler, warum machst du das allein?“ Warum? Weil ich alles in die Hand nehmen musste. Es sind Erinnerungsstücke, mir wichtige Fotos oder auch Dokumente – ich kann das nicht einem Fremden überlassen. Es waren die merkwürdigsten Srücke, die ich behalten habe, weil ich dazu einen inneren Bezug hatte. Und andere, die ich einfach so gehen lassen konnte, obwohl sie vielleicht einen Wert hatten. Ich habe ihren Hausrat verschenkt und unglaublich viele Engel von ebay gehabt, die mir das Haus entrümpelt haben. Irgendwann stand ich im Keller meiner Mutter, als ein Freund einer Freundin zu mir kam und sagte: „Machst du das hier alles allein? Das ist Wahnsinn! Dann nimmt dich doch hoffentlich abends jemand in den Arm und kocht dir einen Tee.“ Nope. Niemand. Der Kerl war mir leider immer abhanden gekommen, wenn ich arg ins Straucheln geraten war. Möglicherweise ist das schon beim Zugucken zuviel gewesen. Nur meine Kinder hielten sich tapfer. Sie funktionierten. So wie ich.

Ich musste weitermachen. Mein Vater starb derweil so vor sich hin. Stand unter Morphium und es brach mir jedes Mal das Herz, ihn zu sehen. Jedes verf…kte Mal. Und München liegt nicht grade um die Ecke, so konnte ich nicht einfach mal hin. Ich hätte ihn gern öfter gesehen. Wenn ich dann dort war, durfte ich wegen strenger, bayerischer Coronaauflagen nur eine Stunde bleiben. Meine beiden Kinder durften nicht mit, weil nur eine Person pro Tag als Besuch erlaubt war. Ich kämpfte, ich wollte, dass sie ihren Opa noch mal sahen. Eigentlich wollte der Arzt, dass die Kinder allein zu ihm gehen. Ich sagte: „No way. Die brauchen jemanden an der Seite, dazu sind sie zu jung.“ Wir durften vor, ich jeweils mit einem Kind. Es war das letzte Mal, dass sie ihn sahen.

Eine Stunde hatten sie, ihren sterbenden Opa zu sehen. Eine Stunde. Und er hätte es so gebraucht, denn er liebte sie so. Ich stand fassungslos davor und fragte mich, wie Bürokratie Menschlichkeit verschlucken kann.

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Den Schock mit meiner Mutter hatte ich noch nicht verwunden, da starb mein Vater. Das Datum passte. Es war mein Geburtstag. Mein Sohn sagte: „Du hattest wohl noch nie so einen schlimmen Geburtstag wie diesen.“ Das stimmte. Ich habe ihn einfach vergessen und habe auch vergessen, dass ich ein Jahr älter geworden bin. Bis heute.

Die Beerdigung war im Dezember. Ich trug seine Urne. Und spürte, wie etwas in mir versteinerte. Und sich etwas in mir löste. Die Anspannung war vorbei. Hoffen-Bangen-Hoffen, das war vorbei. Mein Vater war tot. Ich konnte nicht mehr. War im tiefen, emotionalen Schock. Dachte: „Ach, den Dezember gibst du dir noch und im Januar arbeitest du wieder.“ Nope. Ich konnte gar nichts mehr. Mochte noch nicht einmal mehr kochen. Hab mich zurückgezogen, in meine Stille. Nur wenige Freunde durften an mich heran. Ich verkroch mich am liebsten zuhause. Andere „Freunde“ waren mir ohnehin abhanden gekommen. Sie haben sich einfach nicht gemeldet, als ich sagte, ich brauche sie.

Doch am schlimmsten waren meine Eso-Freunde. Ich bin auch spirituell, ja. Aber ich kann es nicht leiden, wenn ich anstatt Beileidsbekundungen fröhliche Sätze geschickt bekomme, die mir die Sinnhaftigkeit seines Todes zeigen sollten. Regenbogenemojis, fröhlich bunt mit „Gute Reise“. Oder die suggerieren, dass der Krebs ja aus einem Grund gekommen ist. Oder die mir sagen: Ja, das ist auch nur eine Geschichte, jetzt beruhige dich wieder und rede mal von etwas anderem. Am besten war der Satz: „Jetzt guck doch nicht immer so, lach doch mal.“ Ich konnte nicht mehr lachen. Wollte nicht von etwas Anderem reden. Mir ist es verdammt egal, warum Papa so krank geworden ist. Sein Tod hatte keinen Sinn. Er hatte diese Art des Leidens nicht verdient. Er hat sich noch zwei Jahre gewünscht. Da gibt es nichts zu beschönigen. Das war einfach grausam und für die, die daneben stehen, so schlimm, dass sie einfach nur Halt brauchen.

Seit Januar krabbele ich langsam wieder aus meinem Loch hoch. Habe gelernt, dass ich alles am besten mit mir selbst ausmache. Und dass mir Kreativität unheimlich hilft, als solchen Löchern zu kommen. Ich hatte Möbel geerbt und begann, sie schön zu machen. Richtete mir meinen Werkzeugkeller ein und nahm mir kleine Projekte vor. Das gab mir Bestätigung und Sicherheit. Manchmal wird mir vorwurfsvoll gesagt, dass ich mich mit Aktivitäten betäube. Das mag schon sein. Aber jeder, der Schmerz hat, hat das Recht, ihn zu betäuben, wenn er dadurch lebensfähig bleibt. Was sonst macht man mit Schmerz am besten, als ihn zu betäuben? Ich brauchte dringend kleine Freuden und Erfolgserlebnisse.

Es machte mir Freude. Ich merkte, dass ich wie ein Schatten in meiner Familie funktioniert habe, aber nicht wirklich meine Kinder hatte nähren können oder ihnen die Geborgenheit eines Zuhauses geben konnte. Das mache ich seitdem ganz bewusst. Bin hier und strahle Ruhe aus. Mache den Alltag. So wie immer. Das gibt meinen Kinder Stabilität. Vor allem meine Teenagertochter hatte die Stabilität verloren und so bitter nötig. Ganz, ganz langsam trug es Früchte. Wir wuchsen zusammen und plötzlich hatten wir auch wieder ein Mutter-Tochter-Verhältnis. Nichts macht mich glücklicher als das. Ich bin so stolz auf sie – und auf meinen Sohn, der mir in der schweren Zeit eine große Stütze war.

Schreiben konnte ich nicht. Ganz langsam, Schritt für Schritt zog ich mich selbst aus der Schockstarre, redete viel mit Freunden und tat lange Phasen einfach wenig. Oder ich tat bewusst Sachen nur für mich: Ging allein in die Oper oder ins Konzert. Das hat mir Freude verschafft. Ich habe viel überlegt, was ich schaffe und was nicht. Habe schweren Herzens meine Pferde abgegeben, weil ich das eben nicht mehr konnte. Nervlich habe ich das nicht mehr geschafft. Die Verantwortung hat mich erdrückt, jedenfalls in der Situation.

Ich habe viel liegen lassen müssen. Unendlich viele Sachen. Fristen versäumt erstmals in meinem Leben. Ich kann eben auch nur das schaffen, was ich erledigen kann, nicht mehr. Und es war viel zu viel.

Dabei habe ich gelernt, Grenzen zu setzen und Nein zu sagen, bevor ich mich verliere. Ich habe deutlich gesagt, was ich nicht schaffe. Dazu stehe ich, dass ich auch mal Sachen nicht schaffe. Das ist auch nur menschlich. Ich habe irgendwann im März gemerkt, dass ich wieder lache. Ich hatte schon vergessen, wie sich das anfühlt.

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Mein Fazit

Es ist die Stille, die unheimlich sein sollte bei unseren Freunden. Wer in einer Krise steckt, wird nicht um Hilfe rufen. Viele, so wie ich auch, werden einfach still, ziehen sich zurück. Das ist nicht gut. Genau dann brauchen sie dringend Hilfe. Ich habe mich über jeden gefreut, der mich angerufen hat oder der nach mir gefragt hat. Auch wenn ich oft abgesagt habe, allein die Möglichkeit, dass ich es hätte machen können, ist Gold wert. Ich wusste, an wen ich mich wenden konnte. Es waren erstaunlicherweise die Menschen, die eben nicht in meinem ganz engen Kreis waren.

Verblüfft war ich zudem über die Wirkung von Trauerkarten. Jede einzelne hat mir Mut gegeben und mir gezeigt, dass ich nicht allein bin. Jede Beileidsbekundung war stärkend für mich. Deswegen mein Fazit: Kümmert euch, wenn Menschen trauern, fragt nach, schickt kleine Grüße und schreibt diese doofen Trauerkarten. Auch wenn ihr nichts hört. Es kommt an, ganz tief.

Kinder brauchen viel Stabilität, auch und grade als Teenies. Auch wenn sie vorgeben, alles allein zu können. Sie brauchen die Sicherheit zuhause. Die konnte ich nicht geben. Aus sich selbst heraus können die Teenies das nicht erschaffen. Das bringt sie ganz schön ins Trudeln. Stabilität heißt übrigens, eher mehr Grenzen als weniger. Auch das habe ich gelernt.

Einen Menschen zu verlieren ist schlimm. Es ist nie wieder rückgängig zu machen. Bis ich merkte, dass ich meinen Vater so vermisse, hat es Monate gedauert. In dieser Zeit dachten alle um mich herum, ich hätte mich schon berappelt und es ginge mir gut. Irrtum. Es ging mir nicht gut. Meine ersten Tränen um meinen Vater habe ich letzte Woche geweint.

Ich habe gelernt, dass es nicht wichtig ist, was wir erreicht haben und welchen beruflichen Status wir haben. Was bleibt, ist das Herz. Sind die Geschichten von Nähe, von Lachen und Liebe, die die Menschen, die gegangen sind, unsterblich machen. Die Menschlichkeit. Kein Status, kein Geld. Es ist das Herz und die Liebe des Menschen, an die man sich erinnert. Wir haben wenig Zeit hier. Die, die wir haben, verbringen wir mit Unnötigem. Wir sollten uns viel mehr mit unseren Lieben umgeben und ihnen zeigen, wie sehr wir sie lieben. Das sind die Momente, an die ich mich bei meinen Eltern erinnere.

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Mein Warum

Ich schreibe das nicht auf, weil ich Mitleid möchte. Nicht, weil ich mich damit hervortun möchte oder Ähnliches. Ich schreibe sie vor allem für meine Kinder auf. Die ihre Mutter in einer totalen Ausnahmesituation erlebt haben. Vielleicht beantwortet es ungeklärte Fragen. Ich bin unendlich dankbar für ihre Geduld, die sie mit mir hatten. Und für ihr Zu-mir-Stehen. Vielleicht hilft es ihnen irgendwann, zu lesen, wie es war und wie man es schaffen kann, nicht mit dem Strudel unterzugehen, sondern irgendwie über Wasser zu bleiben. Ich hoffe, ich bleibe da auch, mit dem Kopf über Wasser.

PS: Und ich danke allen, die für mich da waren in dieser schweren Zeit.

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11 Antworten

  1. Liebe Andrea,
    Ich bin zutiefst berührt von diesem Text und sehr erschüttert von dem, was du durchmachen musstest. Und zugegeben schäme ich mich etwas, dass auch ich nicht reagiert habe. Nicht mal aus der Ferne. Dass ich gerade in den Jahren in meinem eigenen Stress und Trubel in meinem Leben so gefangen war, dass ich alles außen herum nicht wahrnahm. Dass mir nicht mal auffiel, dass du auf Facebook stiller geworden bist.

    Ich hoffe, dass die dunklen Zeiten für dich nun vorüber sind und dass Du langsam wieder ans Licht kommen kannst.
    Fühl dich gedrückt.
    Ilona

  2. Liebe Ilona, ausgerechnet du schreinbst das? Du, die mir mit ihren Italien-Bildern so viel Mut gemacht hat, dass Neuanfänge immer möglichsind? Die Freude und Lebensfreude geteilt hat? Du warst mehr Stütze, als du dir vorstellen kannst. Dass du dir so Gedanken machst, freut mich total. Ich danke dir!

  3. Liebe Andrea,

    ich habe erst letzte Woche zu dir gefunden durch deine wunderbaren Bilder und bin sehr berührt von deinen Worten. Die Erfahrung, dass manche Menschen aus der esoterischen, spirituellen Ecke sehr schnell mit toxic positivity zur Stelle sind, aber nicht die Kapazität und Bereitschaft haben, einfach da zu sein und das Schlimme auch mal auszuhalten, ohne sich in kognitive Erklärungen zu flüchten … habe ich schon öfter gemacht und es hat mich einiges gelehrt.
    Danke für das Worte finden, danke für deine Klarheit. Ich wünsche dir viel von dem, was gerade das richtige ist für dich,

    Beatrice

  4. Danke für deine Worte. Ja, leider ist es so. Toxic positivity ist etwas ganz Schreckliches, denn manchmal braucht man einfach nur jemanden, der zuhört und die Hand hält.
    Liebe Grüße

  5. Liebe Andrea!

    Ich bin ebenfalls zutiefst berührt von Deinem Text und finde es sehr mutig und auch richtig, dass Du ihn niedergeschrieben hast. Für Deine Kinder, aber besonders auch für Dich. Manchmal muss man wirklich durch ganz tiefe Jammertäler wandern, die kein Ende zu nehmen scheinen. Das, was Du in den letzten Jahren erlebt hast, ist wirklich dramatisch und reicht für ein ganzes Leben. Man kann daran zerbrechen, aber auch wachsen. Und ich glaube fest daran, dass Du aus dieser Dramatik gestärkt hervorgehen wirst. Auch wenn es sicher dauern wird bis diese Wunden heilen.

    Auch ich habe seit 2 Jahren ein paar Baustellen, die mir phasenweise die Kraft rauben. U.a. eine psychisch kranke Mutter und ein Kind das schwer durch die Pubertät strauchelt….. Daher finde ich Deinen Satz „Stabilität heißt übrigens, eher mehr Grenzen als weniger“, gerade auch sehr hilfreich und ermutigend. Ich sende Dir ganz viel Kraft und Zuversicht und fühl Dich unbekannterweise gedrückt, Nadine

  6. Danke, liebe Andrea. Ich bin froh, wenn ich in dieser Zeit etwas Zuversicht verbreiten konnte.
    Manchmal fühle ich mich regelrecht schlecht, dass es bei mir so gut läuft… du bist nicht die einzige in meinem Umfeld, bei der es in den letzten Monaten Katastrophen hagelt.

    Dann denke ich mir, dass ich meine Ladung Katastrophen auch schon hatte, über Jahre, und es im Leben einfach immer ein Auf und Ab gibt. Gerde ist mein Auf dran und man muss es genießen. Genau wie man bei den Abs sich erinnern muss, dass auch sie vorübergehen werden.

    „Ein einziger Grundsatz wird Dir Mut geben, nämlich der, dass kein Unglück ewig währt, ja noch nicht einmal sehr lange dauern kann. “
    Epikur

  7. Genau, liebe Ilona, grade ist dein Auf dran. Und das ist toll. Genieße es und verbreite eben genau diese Lebensfreude. Am allerschlimmsten ist es, wenn mir Leute jetzt sagen: Ich mag gar nichts über mich sagen, es ist so schlimm bei dir. Nein. Einzählt mir über euch. Es ist krass bei mir, ja. Aber trotzdem und vielleicht grade deswegen kann ich mitfühlen, wenn kleine Probleme da sind und jemanden zum Verzweifeln bringen.
    Danke für den Spruch.
    Alles Gute nach Italien, hach! Genieße es

  8. Vielen Dank für deine Offenheit und deine berührenden Worte liebe Andrea, der Wahnsinn noch mal so kompakt zu lesen, was du dieses Jahr überstanden hast und ich bin dankbar dafür dich, zumindest in Teilen, begleitet haben zu durfen. Ich drück dich!

  9. Liebe Andrea, es ist schön, daß Du nicht den Mut verloren hast. Nach Schicksalsschlägen wieder aufzustehen, einen Weg zu finden mit allem klar zu kommen ist ein langer Weg. Ich habe meine Tiefpunkte alleine verarbeitetet, mich aus den sozialen Netzwerken zurückgezogen und nochmal neu angefangen. Bis zum nächsten Mal, bleibe gesund und wuchtig.
    Mit lieben Grüßen
    Erdi Gorch Fock

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Hallo! Ich bin Andrea Lammert. Als Wegreisende, Bücherschreibende und Bloggerin bin ich stets auf Achse.

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...der Himmel zur blauen Stunde, tiefes Meer, das 3. Auge, ein Nazar-Amulett, mongolische Gebetsschals, der Mantel der Jungfrau Maria, Weite, Unendlichkeit und Harmonie, Türen in Marokko und Fensterrahmen in Griechenland, Tücher der Tuareg... und was fällt Euch zu dieser Farbe ein?

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