Wie entdeckt man die Mongolei am besten? Ganz klar: zu Pferd. Reiten im Altai-Gebirge gehört zu den Once-in-a-lifetime-Reisen. Ein Erfahrungsbericht unserer Tour mit Pferd und Begleitkamelen. Teil 1.
Start in Ölgii
Der Huvd-Fluss rauscht fast direkt neben dem Iglu-Zelt vorbei. Klar strömt das Wasser über das Bett aus Steinen. Im Hintergrund beleuchtet die Abendsonne die Gipfel des Altai- Gebirges und färbt sie ockergelb. Yaks grasen in Sichtweite, Pferde weiden auf der anderen Seite unseres kleinen Camps.
Schwarzmilane kreisen am Himmel und lassen sich hin und wieder zu Boden fallen, um Beute zu schlagen. Ihre Sturzflüge bleiben die einzige Attraktion, hier, eine Autostunde von Ölgii entfernt. Es gibt kein Telefonnetz, WLAN sowieso nicht, keine Dusche und keinen Strom. So wird es jetzt die nächste Woche sein. Nur wir, die Natur des Altai und die Pferde.
Wir, das sind zwölf Menschen aus Deutschland und Österreich, die sich zusammengefunden haben, um das Altai-Gebirge zu Pferd zu erkunden. Wanderreiten statt wandern. Es ist unser erster Abend in diesem sagenhaften Gebirge, das zu den schönsten Plätzen der Mongolei zählen soll.
Shangri-La im Altai?
Shamballa sagen manche zum Altai oder Shangri-La, das heilige, geheime Land, das in alten tibetischen Schriften auftaucht und immer wieder beschrieben wird als besonderer Ort, in dem paradiesische Dinge passieren. Abgeschieden soll es liegen, irgendwo auf einer Hochebene, die Menschen sind dort durchströmt vom Göttlichen – so heißt es. Nun, es ist wohl unwahrscheinlich, dass wir Shangri-La finden oder dass es diesen Ort überhaupt gibt, aber jede Reise gleicht ja auch einer Expedition. Wer weiß, was wir auf unserer Expedition finden.
Anderthalb Autostunden liegt unser Nachtlager von der nächsten Stadt entfernt. Ölgii mit seinen rund 34.000 Einwohnern besitzt einen Mini-Flughafen mit Verbindung nach Ulaanbaatar (Aero Mongolia) und einer buckeligen Piste ins Altai-Gebirge. Wir haben die Stadt gern hinter uns gelassen, denn unser Ziel sind die Berge. Oder mehr: „Irgendwo hier muss es liegen, das sagenumwobene Shangri-La“, sagt Mitreisender Günter mit einem Lächeln auf dem Gesicht, das verrät, dass er seine Worte selbst nicht ganz so ernst nehmen möchte. Gleichzeitig verraten sie auch, dass er doch irgendwie auf dieses Wunder hofft.
Noch vor zwei Stunden saßen wir in der Sicherheit der gewohnten Zivilisation mit Dusche, Strom, WLAN und Milchschaum auf dem Kaffee. An einander sind wir hingegen überhaupt nicht gewöhnt, wir sind uns fremd. Doch damit ist jetzt Schluss, denn ab heute teilen wir uns zu zweit je ein Iglu-Zelt.
Vegetarier in der Mongolei
Ich ziehe eine dicke Fleecejacke über, denn wenn die Sonne verschwindet, wird es kühl. Zum Glück ist es im großen Küchenzelt kuschelig warm und trocken. Es riecht nach Gasflamme und Schaffleisch. Unsere Köchin rührt noch in der großen Pfanne, während wir nicht den Blick vom langen Tisch wenden können. Er biegt sich schier: Brot, kleine Dosen mit Nüssen, Gummibärchen, Soßen in Plastikflaschen, Margarine und ein riesiges Paket Tee. Ich greife mir eine Hartplastiktasse und lasse mir aus der riesgen Thermoskanne heißes Wasser einfüllen. Schwarzer Tee. Und dann gibt es Salat. Suppe und gekochtes Gemüse für mich, die anderen bekommen Fleisch.
Vegetarier haben es nicht leicht in der Mongolei. Es ist ein Land der Fleischesser. Auf dem Permafrostboden wächst nichts oder alles nur langsam, sodass Landwirtschaft kaum eine Rolle spielt. Melone, Salat, Gurke und Tomaten auf unserem Tisch – alles ist importiert. In unserem Fall hat unsere Köchin alles aus Ölgii mitgenommen und in große Kisten verpackt. Ein Teil dessen brutzelt schon in der Pfanne und duftet verführerisch.
Nach dem Abendessen noch einen kleinen Spaziergang unternehmen über die von kleinen Hügeln übersäte Wiese und dann ab in den Schlafsack. Doch vorher noch Zähneputzen am Fluss und ins Bad gehen: Es gibt ein orangefarbenes, hohes, schmales Zelt. Unser Toilettenzelt. Dort steht ein Campingstuhl, dessen Sitzfläche durch eine Klobrille ersetzt worden ist. Darunter ist ein Loch gegraben. Fertig.
Im UAZ durch die Berge
Am nächsten Morgen gibt es die letzte Gelegenheit, unsere Sachen zu ordnen, bevor wir tief in die Bergwelt gefahren werden. Wir dürfen nur acht Kilogramm Gepäck mitnehmen, inklusive Schlafsack und Isomatte, die Packkamele sollen nicht mehr tragen. Ich sortiere noch schnell T-Shirts und Technik aus, gebe alles dem Auto mit, das zurück in die Stadt fährt, und unsere Abenteuerreise beginnt.
Sechs Stunden werden wir im UAZ sitzen, diesem russischen Pendant zum VW-Bus. Er wird auch gern Buchanka genannt, weil er in seiner Erscheinungsform an ein kleines Brot erinnert.
Für die 180 Kilometer von Ölgii bis zu unserem Startplatz ackert sich der UAZ durch Flüsse, Schlaglöcher und über Steine mit einer durchschnittlichen Geschwindigkeit von geschätzten 30 km/h. Es riecht nach Benzin und die kühle Bergluft zieht durch die Ritzen der Fenster. Ich kenne kein geländegängigeres Auto, das besser geeignet ist für die Mongolei, als den UAZ.
Ein Regenbogen taucht zwischen den Bergen auf. Die Landschaft ist sehr abwechslungsreich: mal völlig karg, mal sehr grün mit Lärchen und Feldern von pink blühenden Weidenröschen.
Wir fahren an einem See entlang, an dessen Ufer sich mitunter sogar feine Sandstrände zeigen. Pferde stehen auf den Wiesen, und der See erstreckt sich stundenlang zu unserer linken Seite. Es ist der Khoton/Khurgan See. Ein klarer Bergsee, gespeist von Gletscherwasser. Khoton Nuur, also der Khoton-See, ist 20 Kilometer lang und liegt auf mehr als 2000 Metern Höhe. Er ist über einen kleinen, natürlichen Kanal mit dem Khurgan-See verbunden.
Die Pferde und Kamele warten schon
Eine Brücke führt uns auf die andere Seite, wir schuckeln weiter durch die Landschaft, die wohl die menschenleerste Szenerie ist, die ich je gesehen habe. Schließlich erreichen wir eine Ebene, die wüstenähnlich aussieht. Ockerfarbener Sand, so weit das Auge reicht. Ab und zu grüner Grasflaum dazwischen, und in der Ferne zeigt sich ein Nadelwald. Die Höhensonne sticht ganz schön auf der Haut.
Auf diesem Plateau halten unsere Busse. In der Ferne sehe ich eine Herde Pferde und fünf Kamele. Wir sind angekommen. Unsere Wanderreittour beginnt ganz unvermittelt. Ein stämmiger, mittelalter Mongole kommt uns entschlossen entgegengeritten, begleitet von einer Herde aus Pferden. Es ist Tserendash. Ihm gehört ein Großteil der Pferde, und er wird uns begleiten. Gemeinsam mit unserem Guide Bagdaulet, der Köchin Raushan und noch einigen anderen, die irgendwie zu dieser mongolischen Nomaden-Familie gehören.
Die Pferde werden getrenst und gesattelt, die ersten meiner Mitreisenden sitzen schon auf schönen Schimmeln. „Merkt Euch Sattel und Pferd, sie werden für die nächste Woche eure sein“, sagt Guide Bagdaulet.
Die Pferde in der Mongolei Mongolische Pferde gehören zu den Kleinpferden, sind also Ponys. Mit einem Stockmaß bis zu 1,45 m haben sie einen sehr gedrungenen Körperbau. Typisch sind der große Kopf und die langen Mähnen- und Schweifhaare. Die mongolischen Pferde gehören zu den Ursprungsrassen, denn sie weisen eine sehr große genetische Vielfalt auf. Viele Pferderassen gehen auf die mongolischen Pferde zurück. Die Tiere sind außergewöhnlich trittsicher. Sie haben keine Namen, leben den Großteil des Jahres frei wie Wildpfere in der Landschaft und werden nur im Sommer geritten.
Aus dem Augenwinkel sehe ich, dass ein dunkelbraunes Pferd einen schönen Westernsattel bekommen hat. Ich stelle mich dazu und hoffe, dass ich es bekomme. Bingo. Tatsächlich drückt mir der Pferdechef Tserendash die Zügel in den Hand. Ich bin froh, denn irgendwie fühle ich mich, als wäre ich die schlechteste Reiterin der Gruppe. Immerhin habe ich erst mit 50 Jahren reiten gelernt und kann nicht wie viele andere auf Reiterfahrung von Kindesbeinen an zurückblicken. Deswegen hatte ich auch ein wenig Bammel vor dieser Tour. Würde ich sie überhaupt schaffen, obwohl sie ja ausdrücklich für Anfänger ausgeschrieben war?
Wie reitet man ein mongolisches Pferd?
Ich schwinge mich in den Sattel. Die Zügel sind sehr dünn und sehr kurz. Es sind eigentlich eher dünne, kurze Lederbänder, vermutlich aus Yakleder. Dafür ist der Sattel außergewöhnlich bequem. Nicht nur der Sattel ist bequem, mein Pony ist es offenbar auch. Es bewegt sich nicht. Keinen Millimeter. Ich sitze, ruckele, schnalze mit der Zunge, nichts zu machen. Jetzt erst fällt mir auf, dass ich nichts über Kommandos und den Umgang der Mongolen mit ihren Pferden weiß. Obwohl er mir gerade den Rücken zugedreht hat, weil er ein anderes Pferd trenst, dreht sich Pferdechef Tserendash zu mir um und ruft mir ermunternd „tschu tschu“ zu. Zudem bedeutet er mir, mit meinen Hacken dem Wallach sanfte Impulse am Bauch zu geben. Okay.
Tschu tschu.
Von wegen tschu tschu. Er tut nichts. Geduld gehört nicht zu meinen Stärken. Ich versuche es immer wieder. Der Wallach scheint Wurzeln in den Steinboden geschlagen zu haben. Schöner Sattel, falsches Pferd? Ich steige ab. Er bleibt stehen wie ein Esel und lässt sich nicht mal führen. Oh je.
Als alle im Sattel sitzen und sich unser Tross in Bewegung setzt, zuckelt mein Pferd auch mit. Hat aber einen deutlichen Drang nach links. Er läuft irgendwie seitwärts. „Na, das kann ja was werden mit uns“, denke ich. Da treibt Tserendash von hinten mein Pferd an: „Tschu tschu.“ Die Reise beginnt. Ich fühle mich wie in einem völlig fremden Traum.
Surreales Gefühl
Man sagt, die Seele braucht länger, um anzukommen. Meine Seele ist verwirrt. Einerseits spürt mein Körper noch das ständige Schaukeln unseres unverwüstlichen Minibusses, andererseits dieses unbeschreibliche Gefühl auf dem Pferderücken. Dieses archaische, so unglaublich vertraute Gefühl im Sattel. Jede Bewegung des Tieres spüren, Wind in den Haaren, mongolische, menschenleere Weite vor mir. Komplettes Im-Moment-Versinken – das ist für mich reiten. Verstohlen blicke ich mich zu meinen Mitreisenden um. Irgendwie haben sie alle diesen Gesichtsausdruck: „Ich kann nicht fassen, dass ich hier bin und durch die Mongolei reite.“
Mein Wallach läuft inzwischen geradeaus nicht mehr seitwärts, nutzt aber jede Gelegenheit, um stehenzubleiben oder mir zu zeigen, dass er der Chef ist. Mein Blick sucht unseren Guide Bagdaulet, den wir alle nur Baco nennen. Ich beobachte ihn, was macht er anders? Ah! Unsere Pferde haben nicht nur Trense und Zaumzeug, sondern auch noch das Halfter mit dem Führstrick um, mein Führstrick ist zusammengerollt an den Sattel gebunden. Baco hält das Ende seines Strickes wie eine Gerte in der rechten Hand, links die Zügel. Ich zupfe den ledernen Führstrick aus seinem Knoten, halte das Ende wie eine Gerte und rufe tschu tschu. Tatsächlich wird der Wallach jetzt etwas gefügiger. Zum Glück.
Eineinhalb Stunden sitzen wir im Sattel, dann überqueren wir eine Bergkuppe, und unser grünes Küchenzelt kommt in Sicht. Angekommen.
Nachts über Kamele stolpern
Wir satteln ab. Unsere fünf Packkamele sind inzwischen auch angekommen und grasen friedlich. Manche unserer Pferde werden an den Vorderbeinen zusammengebunden, damit sie nicht weglaufen können, andere kommen an einen langen Strick.
Die Tiere grasen, während wir das Zelt aufbauen. Wieder campieren wir an einem Fluß, dieses Mal ist sein Wasser weiß und an manchen Stellen smaragdfarben. Es ist kühl hier oben. In der Nacht sehe ich nicht nur einen wundervollen Sternenhimmel, sondern stolpere fast über eines der Kamele, das sich zwischen Toilette und Felsen gemütlich niedergelegt hat.
Am nächsten Morgen wollten wir eigentlich um 9 Uhr aufbrechen, aber das Packen der Kamele dauert wirklich lange. Allein zwei Kamele tragen das Küchenzelt und unsere Vorräte. Mir bleibt es ein Rätsel, wie Rosa, wie wir unsere Köchin Raushan nennen sollen, die rohen Eier auf Kamelen transportiert. Doch sie muss Unmengen davon mitgenommen haben. Morgens gibt es Omelette, Pfannkuchen oder Spiegelei – jeden Tag etwas anderes.
Um 11 Uhr sitzen wir im Sattel. Heute ist voller Reittag. Davon berichte ich in Teil 2. Stay tuned.
2 Antworten
was für herrlich schöne Bilder. und deine Erzählung erinnerte mich etwas an meine Gefühle beim Kameltrekking damals in der Wüste. Ich habs ja nicht so mit Pferden, aber Kamele find ich großartig.
meine erste Fernreise führte – vor zehn Jahren nicht unbefingt ein Anfängerland – nach Usbekistan. Ursprünglich wollte ich ins Altai, fand aber keine Reise. Also blieb ich immerhin bei Zentralasien.
Bis ich deine Fotos auf Instagram sah, hatte ich diesen Reisetraum ganz vergessen… jetzt weiß ich wieder, warum ich unbedingt mal hin wollte
Auf diesen Bericht habe ich „gewartet“ – wow – genauso auf dem Pferd fühle ich mich öhm, schon jetzt…ich habe auch erst spät dem Pferd zwischen die Ohren geschaut und innerlich wimmere ich bei der Vorstellung in so einer weiten mongolischen Landschaft gewissermassen auf mich allein gestellt zu sein. Objektiv gesehen ist es in einer Reisegruppe ganz womöglich anders.
Deine Bilder triggern mich als Fotostudierte aus dem letzten Jahrtausend. Danke sehr dafür.. das Bilder – Auge liest mit. nahrung für meine seele und Träume.
Ich trau mich nun.
Fantastisch.