Der Regen peitscht gegen den Bus, der Wind heult so laut, dass an Schlafen nicht zu denken ist. Ich schaue aus dem Fenster. Auf der anderen Seite der Bucht leuchtet das nächtliche Reykjavik – die „Rauchbucht“ der Wikinger, in der um 870 die ersten Seefahrer aus Norwegen und keltische Immigranten auf Island siedelten. Eine Tour durch die Welt der Sagen und Götter – mystisches Island.
Schlafen im Bus in Island
Übernachten im Bus? Linda Mjöll Stefansdottir und Daniel Hjörtur haben sich am Fuß des Berges Esja einen Traum erfüllt. Zwei ausrangierte Gelenkbusse der Reykjaviker Verkehrsbetriebe sind zu fantastisch phantasievollen Schlafplätzen für Gäste aus aller Welt umgestaltet worden – inklusive verbautem Treibholz vom nur 500 Meter entfernten Atlantikstrand.
Esja als Tor zu Mutter Erde
„Esja ist für mich ein Tor, durch das ich die große Mutter Erde erblicken kann und vor allem jene kleinen Wesen, die hier an diesem magischem Berg wohnen“, sagt die 48-jährige, die in London Filmproduzentin gewesen ist. Mit weltoffenem Blick spürt sie heute ihren isländischen Wurzeln nach. „Verborgene Kräfte, Elementarwesen und mythische Geschöpfe sind hier mit uns verbunden“, beschreibt Linda und deutet auf die Bauruine hinten auf dem Hof. Zwei Kolkraben haben sich auf den First des Hauses gesetzt, den Ehemann Daniel zum Männerhaus ausbauen will.
Mystisches Island – Götterboten überall
Die Raben, Vögel des Gottes Odin wie man hier sagt, führen uns nach der kurzen, stürmischen Nacht weiter nach Norden zu Halbinsel Snaffelness, die wie eine lange Nase in den Atlantik ragt. Snaffelness ist eine Miniaturausgabe der ganzen Insel – Vulkane, Gletscher, Schafzüchter und Fischer inklusive. Außerdem lässt der französische Autor Jules Verne in seinem Roman „Reise zum Mittelpunkt der Erde“ seine Helden ausgerechnet hier am Sneffelness in die Unterwelt steigen: Grund für Suchende aus aller Welt, diesen Ort zu besuchen, da ihnen die Schleier zwischen den Welten hier als besonders dünn erscheinen – mystisches Island eben.
Die Fahrt mit dem Auto bringt uns zunächst einmal ganz real unter die Erde. Die von Reykjavik kommende Nationalstraße 1 führt durch einen Tunnel unter dem tiefen Fjord Hvalfjörður hindurch. Über dem Felsen des Tunneldaches drückt unaufhörlich Atlantikwasser in die kilometerlange Bucht, was das kleine Auto nicht gerade sicherer erscheinen lässt.
Beliebte Filmkulisse in Island
Hinter dem Licht am anderen Ende des Tunnels erwartet uns die Aussicht auf ein ganz irdisches Erlebnis: In Geirabakari Kaffihus in Borganes gibt es süße Teilchen, leckeres Wurstbrot und guten schwarzen Kaffee. Wichtiger Grund für viele, die hier Rast machen, ist jedoch das Panoramafenster des Kaffeehauses zum offenen Meer. Oben auf dem runden Fensterbogen bieten Fotos mit dem US-Schauspieler Ben Stiller einen Blick in die Filmwelt. Für den US-Spielfilm „Das erstaunliche Leben des Walter Mitty“ wurde eine Szene in dem zur Hotdog-Bude umgestalten Kaffihus gedreht.
Die Filmindustrie schwört auf Island – nicht nur wegen der langen Drehtage im Sommer. Die Landschaft bietet alles: von der russischen Tundra im Spionagethriller bis zum Phantasie-Blockbuster „Game of Thrones“.
Mehr Chancen mit Bart
Halldor Magnusson hat zuletzt in der deutschen Produktion „Tod der Elfenfrau“ mit der deutschen Schauspielerin Franka Potente („Lola rennt“) in einer kleinen Sprechrolle mitgewirkt. Sein langer Bart verdeckt den großen Wolf, der auf seinem T-Shirt prangt. Er selbst ist indes vom Typ ein Bär, der sich jetzt partout den Bart nicht schneiden lassen wird. Gleich Anfang 2017 kehrt das Filmteam von „Game of Thrones“ nach Island zurück und im Sommer soll eine Staffel der Serie „Vikings“ ebenfalls auf der Atlantikinsel gedreht werden. Viele Männer lassen sich die Bärte wachsen und hoffen auf eine Statistenrolle.
Am Snaffelness stehen wir heute alle auf der Bühne – Hauptdarsteller in einem imposanten Drama aus Wind, Regen und schwarzem Vulkangestein. Eingehüllt in unsere Regenponchos blicken wir über bizarre Felsen, die wie Riesen am Ufer wachen. Meer und Himmel verschwimmen im Nichts. Mit geschlossenen Augen ist die Gegenwart des Göttlichen mit jedem Windstoß spürbar. Dass hier so viele Besucher Ufos zu sehen glauben, ist nicht verwunderlich.
Glaube an alte nordische Sagen
Die vom Wasser polierten schwarzen Steine sind „die Bibliothek der Welt“, sagt Johanna Hardardottir. Sie empfängt uns auf dem Rückweg vom Sneffelsness in ihrem großzügigen allein stehenden Haus am Hvalfjörður-Fjord. Johanna ist eine Bewahrerin der alten Wege, wie sie sagt. Die Storytellerin bewahrt das Wissen der alten Isländer über Trolle, Elben und weise Frauen. Diese Völvas genannten Weissagerinnen erleben heute eine Wiederauferstehung. „Blau gewandete Völva – allein geht sie über den Bergpass“, heißt es in einer alten Volksweise: Sie sucht Schutz in einer Höhle – dort stirbt das alte Selbst – die Knochen liegen dort über hunderte Jahre begraben. „Die Medizin erwacht heute wieder in den Frauen – Völva steigt in neue Zeiten“, ist Johanna überzeugt. „Stetig kehrt die mächtige Medizin zurück.“
Oder war das alte Wissen nie verschwunden? Im Jahr 1000 wurde auf dem Althing in Þingvellir, Europas ältestem Parlament, der Beschluss gefasst, der das Christentum zur Staatsreligion erklärte – so zumindest lautet die offizielle Version: Die Ratsversammlung der freien Wikinger hatte die Entscheidung an einer der Ihren delegiert: Þorgeir Ljósvetningagoði zog sich drei Tage und drei Nächte zurück bevor er sein salomonisches Urteil verkündete: Nach außen werden wir Christen, lautete sein Urteilsspruch: Zuhause soll aber jeder weiter anbeten dürfen, wen er will – also auch Odin, Thor und Freia.
Feuerzeremonien und Schneebergvulkane
Dies wird nicht nur von Johanna Hardardottir so gehandhabt. Ihre Treffen und Feuerzeremonien sind immer gut besucht. Als Medium ist sie gefragte Ratgeberin. Zum Abschied schenkt sie uns je eine Schutzrune. Das magische Zeichen hat sie in just diese kleinen schwarzen, vom Wasser polierten Steine vom Schneebergvulkan auf der Halbinsel Snaffelsness geritzt und dann weiß ausgemalt.
Um den Hals von Halldor hängt bereits der Thorshammer als Amulett. Thor Sohn von Göttervater Odin heißt im Südgermanischen auch Donar, von dem unser Wort Donner abstammt und dem wir den Donnerstag zu verdanken haben. Thor mit seinem Hammer Mjolnir ist also ein echter Donnerer und sehr beliebt bei den Isländern. Halldor hat es vor sechs Jahren buchstäblich umgehauen, auf offener Straße. „Als ich die Augen aufmachte, standen lauter Leute um mich herum und blickten zu mir herab“, erinnert er sich. Die Ärzte stellten eine Diagnose auf, doch für Halldor ist die Sache klar. Der Blitz der ihn traf, kam von Thor und dem Ruf wird er nun folgen. Auf diesem Weg wird er nun alte Wunden heilen und ein friedvoller Krieger werden, der den Feind nicht im Äußeren sucht, sondern der seine eigenen Schatten erkennt und nicht mehr versteckt.
Die Kraft des Wassers spüren
Zusammen mit Gleichgesinnten steht er am Geysir Strokkur. Ganz am Ende des Heißwassertals Haukadalur sind die Quellfontänen die Touristenattraktion in Island. Jetzt, morgens um 7 Uhr sind noch keine weiteren Besucher vor Ort. Die Gruppe, der wir uns angeschlossen haben, steht im Halbkreis an der Absperrung. Wir singen, rasseln und rufen die Kraft des Wassers an. Als das Wort Wasser fällt stößt der Geysir eine heiße Fontäne in die Höhe. So als wollte er uns grüßen und anstubsen sprühte uns die Fontäne ein Schwall warmen Wassers entgegen.
Island ist Wasserland – wohin man sieht: Flüsse, Wasserfälle, heiße Dämpfe, Regen. Nicht weit von den Geysiren stürzt der Gulfoss beeindruckend und lautstark in ein Nadelöhr aus Stein und Fels. Weiter südlich im Heißwassertal liegt die Geheime Lagune (Secret Laggon) , ein Pool mit 41 Grad heißen Badewasser. Draußen am Eingang stehen die Reisebusse aufgereiht. So „secret“ scheint die älteste öffentliche Heißwasserbadestelle in Island nicht zu sein. Wer aber mal ganz allein einen kleinen „hot pool“ besteigen will, muss sich auskennen oder jemanden an seiner Seite haben wie Guðmann Þór Bjargmundsson.
Geheime Plätze in Island
Der Fotograf kennt die versteckten Plätze, zu denen man mitunter kilometerlang über Vulkanfelder fahren muss. Dann sollte alles sehr schnell gehen: Das Gefühl der Kälte überwinden und dann hinein ins heiße Nass, während draußen die Schneeflocken tanzen.
Das Erbe der Wikinger ist allgegenwärtig. Im Saga-Museum in Reykjavik finden sie sich alle wieder: die alten Götter, die Seherinnen und überlieferten Sagas. Eine Welt, in der die Götter menschengleich und machtvoll das Abbild der rauhen Natur spiegelten. Eine Welt, die die Wikinger von ihren germanischen Vorvätern mit auf die Insel im Nordmeer brachten, wo das Schicksal der Männer vorbestimmt war und die sehenden Frauen in die Zukunft schauen konnten.
Zum Autor: Michael Hemme hat vor einigen Jahren seinen Beruf als Zeitungsredakteur aufgegeben und arbeitet heute als Seminarleiter, Energetischer Heiler unter anderen nach den Methoden des medizinischen Anthropologen Dr. Alberto Villoldo. Er ist mehrmals in Jahr in Island. Zusammen mit Annett Lachmann leitet er unter anderem auf Island schamanische Seminare und reist zu den Kraftplätzen der Insel. Mehr Informationen findet Ihr unter www.mahela-medicine-wheel.com.
Tipp: Das Fotostudio Mink Viking
Nicht weit vom Museum in der historischen Altstadt Reykjavíks führt eine Treppe in den ersten Stock eines Geschäftshauses. Wenn von oben wütende Rufe und metallisches Klackern von Schwertern zu hören ist, dann ist Guðmann in seinem Element. In seinem Mink Wiking Portrait Studio können sich Touristen aus China, Italien oder Kanada in furchteinflößende Nordmänner verwandeln. Viele Frauen greifen zu Pfeil und Bogen, wenn sie in den Requsitenkisten frei wählen können.
„Es geht nicht um Gewalt“, sagt Guðmann der Fotograf. Ihm geht es um die innere Haltung. Und die Freiheit!
Andere schreiben auch über Island.
Die schönsten Bilder der Insel hat der italienische Fotokünstler Maurizio Biancarelli gemacht – schaut mal auf seiner Webseite www.mauriziobiancarelli.net
Jutta von 6GradOst hat sich ganz auf Island spezialisiert mit dem Blog- schaut mal hier.
15 Antworten
Wenn das keine Motivation ist, zu dieser mystischen Insel zu reisen, dann weiß ich nicht, was man noch tun kann.
danke, Tyr! Ja, das hat mich auch gleich ins Träumen gebracht und meine Reiseplanung für 2017 überdenken lassen.
Liebe Andrea, da kommt Sehnsucht auf! Die Übernachtungsmöglichkeit in den umgebauten Bussen kannte ich noch gar nicht. Wie genial! Das muss ich mir unbedingt für die nächste Reise merken. Und herzlichen Dank fürs Verlinken! Liebe Grüße, Jutta
Liebe Jutta, ja, das hat mir auch sehr gefallen! Michael hatte mir immer so vorgeschwärmt, dass ich ihn schließlich gefragt hat, ob er was schreibt. Und ich finde es so toll, jetzt kann ich es endlich mal lesen und ansehen. Der Bus gehört nun auch zu meinen Traumzielen 🙂 Und übrigens: Willkommen in meinem neuen, virtuellen Zuhause.
Wow, das klingt, als würde Island voller Weisheit stecken…
Liebe Caroline, schien mir auch beim Lesen so. Ich denke, man muss nur die richtigen Menschen treffen. Übrigens: Schön, dich hier zu treffen <3
Boah…das ist ja ein interessanter Beitrag, der mich total beeindruckt. Ich war noch nicht dort, habe es mir aber fest vorgenommen!
Danke, liebe Eva! Das freut mich sehr. Ich hoffe ja, dass ich es auch noch mal dahin schaffe 🙂 Liebe Grüße und hoffentlich klappt es bei dir dann auch mit Island
Daniel Hjörtur, der die Idee mit den ausrangierten Bussen letztes Jahr umgesetzt hat, ist auch die künstlerische Seele des „Guesthouse 1×6“ in Keflavik. http://www.1×6.is Den gesamten Innenausbau des kleinen Guesthouse hat er aus Brettern von alten Bobinen (jedes Brett 1 Zoll dick, 6 Zoll breit, deshalb der Name 1×6) selbst gezimmert, inkl. Möbel, Betten etc. Allein schon die Inneneinrichtung (und der Hotpot im Garten!) ist ein Besuch wert…
Lieber Walter, danke für den Tipp! Das finde ich ja richtig klasse!
Oh ich bin ja ganz neidisch! Island gehört zu einem Traumziel meiner Reiseplanungen!!!! Genau das mystische, Bärte, Steine und das ursprüngliche finde ich total genial! Danke für diesen tollen Artikel mit den vielen Bildern und tollen Seiten dieses faszinierenden Landes!!
Liebe Grüße,
Martin
Oh, Island ist, neben Finnland, mein Reisewunschziel Nummer eins! Faszinierendes Land, voller Eigenheiten, unglaublicher Landschaft – und guter Musik;). Toller Bericht!!! Viele Grüße, Lisa
Liebe Lisa, das freut mich sehr, wenn es dir gefallen hat, was Michael geschrieben hat. So ein Feedback motiviert hier weiterzumachen. Viele Grüße in den Harz
unglaublich schön, beste Grüße von mir zu dir, Klaus
Danke, lieber Klaus, ja, Island eben!