Die Erfurter Krämerbrücke ist nicht nur ein besonderes Kulturdenkmal, sondern sie macht ihrem Namen bis heute auch noch alle Ehre, denn in den Häuser befinden sich ganz besondere Krämer: Dort gibt es wirklich Außergewöhnliches. Wenn ich durch die Innenstädte gehe, sehen diese leider meistens alle gleich aus: Hier eine Filiale einer großen Drogeriekette, dort ein Ein-Euro-Laden und gegenüber Niederlassungen einer Kaffeekette oder eines Textilherstellers. Ob Budapest oder Buxtehude, die Waren sind so einheitlich wie die Ladennamen auch, wer etwas jenseits der Massenware sucht, muss oft weit laufen und wird schon gar nicht im Zentrum fündig. Schade für die Städte, so gibt es in Hannover dieselben Dinge wie in Madrid und schade um die Nachhaltigkeit, denn leider stammen diese Sachen eben oft aus fernen Ländern, über deren Herstellungsbedingungen man sich mehr als streiten könnte.
Die thüringische Landeshauptstadt Erfurt ist deswegen einen anderen Weg gegangen – einen, der mir sehr imponiert hat, weil er so klar und bewusst ist. Wer auf dem Sahnestück der Erfurter Ladenzeilen ein Geschäft eröffnen möchte, muss sich nicht nur bewerben, sondern ein außergewöhnliches Konzept vorweisen. Immerhin ist die Krämerbrücke die Attraktion Nummer 1 in der Thüringer Landeshauptstadt und strahlt eine besondere Atmosphäre aus, die es eben nicht in anderen Städten gibt. Die Absätze klappern unter dem Kopfsteinpflaster, eng stehen die Fachwerkhäuser beieinander. Dass man auf der Gera entlangspaziert, merkt man zunächst nicht, denn die Brücke wirkt wie eine enge Gasse. Und doch weht dort an anderer Wind. Es sind die Geschäfte, die eine Heimeligkeit ausstrahlen, wie ich sie sonst nur von Weihnachtsmärkten kenne. Haus- und Handgemachtes stapelt sich hinter den kleinen Fenstern der Fachwerkhäuser. Man merkt es den Dingen an, wenn sie mit Zeit und Mühe gemacht sind, wenn sie aus der Nähe kommen – wie etwa die berühmte Goldhelmschokolade auf der Krämerbrücke. Alexander Kühn ist ein Paradebeispiel dafür, wie Erfurt Unternehmern eine Chance gibt. Er hatte nur die Idee, eine Chocolaterie zu eröffnet, bewarb sich und gehört heute zu den beliebtesten Geschäften der Stadt. Seine Kreationen mit schwarzen Johannisbeeren oder Thymian sorgen für Geschmacksexplosionen auf der Zunge ohne zu süß zu sein. Schokolade, wie sie sein muss eben.
Gegenüber verkauft Bettina Vick Thüringer Spezialitäten wie den berühmten Senf, der aus Erfurt und Umgebung stammt, Goethe-Salami oder Goldmännchen-Tee. Es kommt nur in die Regale, was wirklich aus der Region stammt. Als ich dort bin, kommt gerade das Erfurter Original, der Brezelverkäuferm gekleidet in Mittelaltertracht rot-schwarz gestreifter Hose, breitem Lederhut und Schellen an seinem Brezelkörbchen. Immer einen flotten Spruch auf den Lippen, macht er seine Scherze mit den Gästen im Laden, begrüßt die Inhaberin und zieht dann weiter.
Nur wenige Häuser weiter verkauft Beate Kister selbstgemalte Aquarelle, die kaum größer sind als Briefmarken. Gegenüber findet sich ein Geschäft namens Erfurter Blau, das sich der alten Tradition des Thüringer Blaudrucks mit dem Färberwaid widmet und nebenan drücken sich nicht nur meine Kinder die Nasen am Schaufenster platt, denn dort befindet sich eine echte Puppenschnitz-Werkstatt. Bernd Gobsch sieht dort und zieht mit seinen Beiteln Späne aus dem halbfertigen Kopf einer Puppe. Hier noch ein wenig an der Nase arbeiten, da etwa am Auge, kleine Griffe, die für die Mimik sorgen.
Ob Kinderspielzeug- oder Linkshändergeschäft, Weinhandlung oder Bistro, jedes Haus hat Herz und eigenen Stil. Genau das, was den Innenstädten heute fehlt: Die unverwechselbare Handschrift der Besitzer. Und das Gefühl, man kommt in das Zuhause von ihnen, denn so herzlich werde ich dort empfangen, es gibt einen kleinen Plausch und es ist auch so liebevoll dekoriert. Kein Wunder also, dass es einer meiner Lieblingsorte in der Stadt ist, oder? Hier ist irgendwie das ganze Jahr über Weihnachtsmarkt – und das noch in passender Fachwerkkulisse.
Übrigens ist nicht nur die Krämerbrücke schön, sondern auch der Platz hinter der Brücke, wo man am rauschenden Wasser der Gera sitzt, auf die bunten Fachwerkhäuser schaut und sich doch irgendwie auf einer Insel fühlt.
Info zur Krämerbrücke:
Auf der Erfurter Krämerbrücke kann man nicht einfach so einen Laden mieten, es muss etwas sein, was zu dem Gebäudeensemble passt. Immerhin ist es ein besonderes Konglomerat an Bauten, die sich hier zur längsten, durchgehend mit Häusern bebauten Brücke Europas zusammenfügen. Sie war Teil der berühmten Via Regia, des Handelsweges, der quer durch Europa verlief und Spanien mit Moskau verbunden hat. Schon im 12. Jahrhundert ist sie urkundlich erwähnt worden, damals fanden sich viele Holzbuden und -bauten entlang der Brücke und Händler, die ihre Waren feilboten. Daran hat sich bis heute wenig geändert, auch wenn die Brücke inzwischen mehrfach von Bränden heimgesucht wurde und viele der Gebäude immer wieder neu aufgebaut werden mussten. Die heutige Form entstammt dem Jahr 1472, nachdem zuvor wieder einmal ein Brand viele der Gebäude zerstört hatte, waren dort 62 Fachwerkhäuser zu finden. Heute wurden die Gebäude teilweise zusammengelegt, erneuert und so sind dort nur noch 32 Häuser übriggeblieben. Die Stadt Erfurt hat schon im Mittelalter die Nutzungsrechte zu diesen Häusern erworben und genau darin liegt vielleicht auch der Schlüssel.
Infozentrum der Krämerbrücke: Zur Geschichte der Krämerbrücke informiert das Haus der Stiftungen, Krämerbrücke 31. Es ist täglich geöffnet von 10-18 Uhr.
Blick auf die Krämerbrücke: Einen schönen Blick auf die Krämerbrücke hat man vom Turm der Ägidienkirche. Der Rote Turm der Kirche ist nicht nur Wahrzeichen der Stadt, denn durch seinen Torbogen treten die Besucher auf die Krämerbrücke, sondern der Aufstieg die vielen Stufen hoch lohnt sich. Von oben ergibt sich ein wunderbarer Blick auf die Brücke – ganz ohne Drohne. (Kosten ca. 1,50 € auf Spendenbasis.)
Hier findet Ihr noch zwei schöne Filme zu den Künstlern:
13 Antworten
So sollte es überall wieder werden. Dann hätten diese widerwärtigen Globalplayer wie Amazon und Co. verspielt, und der geschmacklose Einheitsbrei endlich ein Ende. Und der Mensch wäre wieder ein bißchen mehr Mensch.
Oh ja, die Krämerbrücke in Erfurt hat einen ganz besonderen Flair. Wir haben es sehr genossen dort in all die kleinen Geschäfte zu blicken. Die Puppenschnitzerwerkstatt haben wir ebenfalls besucht und waren ganz begeistert von den Dingen, die wir dort entdeckt haben.
Erfurt ist auf alle Fälle eine Reise wert und ganz besonders die Krämerbrücke.
LG
Astrid
Ich war im Oktober 2017 in Erfurt. Dank deines ausführlichen Berichtes könnte ich eben noch einmal durch die Gasse gehen. Die Bäckerei ist besonders schön! Danke für den kleinen Ausflug!
Erfurt war ich noch nie..bestimmt eine Reise wert
Ach… Andrea. Mein Herz geht auf! Danke für den schönen Beitrag. Du hast die Atmosphäre dort wirklich toll beschrieben… Schöne Grüße, Birgit
Gerne, du weißt ja, wie ich die Stadt mag. Leider habe irgendwie die Bilder verbummelt, ich hatte so tolle vom Puppenschnitzer. Ich muss noch mal schauen, wenn ich zuhause bin, danke dir für diesen schönen Kommentar und liebe Grüße
Ist es ganz definitiv. Ich hatte es auch total unterschätzt und war dann gleich so angetan. Und mit Weimar in der Nähe lohnt sich der Besuch gleich doppelt. Liebe Grüße
Danke dir für deine Worte, die nach so viel Bloggen immer gut tun! Schön, wenn ich Erinnerungen wecken konnte. Dann schwelge am besten noch ein wenig in den Bildern im Kopf. Viele Grüße
Liebe Astrid, danke für deinen Kommentar. Ja, die Krämerbrücke und der Puppenschnitzer und anschließend ein Stück Scheik, oder? So muss doch das Leben sein…
Liebe Grüße
Dass finde ich auch, der Mensch sollte wieder mehr Mensch sein und das geht am besten, wenn jeder im Kleinen etwas tut. Deswegen hat mir Erfurt so imponiert und leider gehen solche Beispiele viel zu wenig durch die Medien. Aber wer, wenn nicht wir alle, könnten auch das heute ändern. Meiner Meinung nach wird es irgendwann wieder eine Rückbesinnung geben, die ersten Anzeichen dafür gibt es ja schon. Nur die Hoffnung nicht aufgeben.
Liebe Grüße
Liebe Andrea,
dein wunderschöner Bericht über Erfurt hat mich noch neugieriger auf diese Stadt gemacht. Ich habe schon so viel Gutes gehört. Bis Bad Frankenhausen war ich immerhin schon mal. Vielleicht schaffe ich es auch noch ein Stückchen weiter. *lache*
Liebe Grüße zu dir,
Lilo
Liebe Lilo, ach, das würde mich freuen, Erfurt ist wirklich immer total unterschätzt. Leider. Jetzt muss ich gucken, wo Bad Frankenhausen ist 🙂
Liebe Grüße
Wirklich gemütlicher Ort, schön zum Spazierengehen, Schauen und Erleben