Im letzten Sommer habe ich meine Liebe für Halligen entdeckt. Dabei bin ich auch auf der Hallig Hooge vorbeigekommen. Ein stiller Platz inmitten der Naturgewalten und leider auch vom Anstieg des Meeresspiegels bedroht.
Wenn es bei uns draußen stürmt, frage ich mich neuerdings, wie es wohl auf den Halligen der Nordsee gerade aussehen mag? Ragen die Häuser auf den Warfen wie kleine Inseln aus dem Meer? Oder ist die Hallig still und sanft wie im September, als ich ihr einen Besuch abstattete? Dass die Ruhe hier trügt und manchmal gar nichts mehr geht, habe ich schnell gelernt auf dem kleinen Stück Land. Wer Hooge besucht, wird zuallererst mal ins Sturmfluten-Kino geschickt. Ein kleiner, bestuhlter Gemeindesaal, in dem jeden Tag derselbe Film läuft: Ein 15 Minuten langer Streifen über Sturmfluten auf den Halligen. Der Film, hat zwar schon einige Jahre auf dem Buckel, schildert aber dennoch sehr beeindrucklend, wie sich die Hallig bei Sturmflut verändert.
Da sitze ich drinnen in der kleinen Kino-Halle auf der Hanswarft und überlege, was ich mit diesem Tag so anfangen soll. Draußen schüttet es nämlich aus allen Kübeln, noch dazu ein starker Wind, der den Regen wie kleine Sandkörner ins Gesicht peitscht. Tolles Wetter für den Besuch der zweitgrößten Hallig. Vor allem, wenn man sich wie ich ein Rad geliehen hat und der Wind stets aus der falschen Richtung kommt.
Auf der Hallig spricht sich Besuch schnell herum und so erwartet mich Erco Lars Jacobsen vom Tourismusamt bereits. „Wir gehen erstmal in die Teestube“, schlägt er vor. Gute Idee, mein Magen knurrt auch schon, denn Nordseeluft macht hungrig, mich zumindest andauernd. Also auf in die T-Stube, wie sie richtig geschrieben wird.
Draußen ist der Himmel fast schwarz und beim kurzen Fußweg vom Sturmflutkino bis zur Teestube (vielleicht 2 Minuten?) laufen wir im Zick-Zack-Kurs zu schützenden Dächern und Bäumen, weil wir sonst garantiert triefnass wären. Erstmal eine heiße Schokolade mit ordentlich Sahne, das hebt die Laune. Wir lassen uns auf die alten Sofas sinken, die in der Stube zum Reinlümmeln locken, dazu ein Bullerjahnofen, perfekte Stimmung für graue Herbsttage. Auch meine Fährbekanntschaft mit dem schönen Weimaraner Hund sitzt hier und wartet auf besseres Wetter.
Erco Lars Jacobsen erzählt mir von seinem Leben auf der Hallig, wie es so ist, wenn die Sturmflut kommt und alle zusammenrücken. „Wir haben hier ein Ohr für das Wetter. Ich höre die Nordsee brodeln und denke, in drei Tagen könnte es soweit sein und wieder Landunter heißen“, sagt er so, als sei es das Normalste von der Welt. Er lebt schon seit 20 Jahren auf der Hallig, aber noch immer beeindruckt ihn die Gewalt der Natur: „Dann merkt man erst, wie klein man ist.“ Diese Brachialgewalt des Wassers kommt von jetzt auf gleich. Und doch ahnen die Halligbewohner es oft weit im Voraus, manchmal sogar bevor der Wetterdienst Warnungen rausschickt. „Wir wissen, wann wir unsere Sandsäcke befüllen müssen“, erzählt Jacobsen weiter.
Da kann der Tag noch so sonnig sein, wie etwa einst vor dem Sturm Xaver: „Wir wussten alle, dass etwas kommen würde, aber es war so unreal. Die Sonne schien, alles war friedlich und sanft. Und plötzlich ging es los.“ In solchen Ernstfällen muss er zu seinem Haus und seine Schafe zusammentreiben und auf der Hanswarft in die Einfahrt sperren, damit sie in Sicherheit sind, denn die Wiesen der Hallig laufen schneller voll, als er seine Tiere retten kann. Was den Tieren die Auffahrt, ist den Menschen der Schutzraum, den auf der Hallig jedes Haus hat, um sicher zu gehen, dass die Menschen sich vor den Wassermassen retten können.
Doch wie lange wird das gut gehen mit den Sturmfluten und der Nordsee? Müsste nicht auch der Klimawandel hier zu spüren sein? „Klar merken wir die Veränderungen“, weiß Erco. „Der Meeresspiegel steigt, das ist sicher. Das Wetter wird unzuverlässiger und vor allem extremer.“ Es gäbe viel mehr Stürme und das Wasser ereiche öfter die Oberkante als früher. Möglicherweise würden auch die Halligen irgendwann untergehen, doch das darf nicht passieren. So zumindest hat es das Land Schleswig-Holstein entschieden. Eine Entscheidung für den Schutz dieser Landschaftsform, denn die Halligen sind nicht nur ein weltweit einmaliger Lebensraum, sondern fungieren auch als wichtiger Wellenbrecher für die Nordseeküste. Sozusagen eine Art natürlicher Küstenschutz. Das Land Schleswig-Holstein hat deswegen vor einigen Jahren die Arbeitsgruppe „Hallig 2050“ ins Leben gerufen, die sich neue Ideen überlegen soll, um die Halligen auch in Zukunft lebenswert zu machen. Denn bei zu viel Ungemach und Überflutungen wandern noch mehr Menschen ab aufs Festland und hinterlassen Warften, die jahrhundertelang besiedelt waren. So ist das schon der Hallig Südfall passiert, aber auch auf Gröde wohnen nur noch neun Einwohner, die meisten davon im Rentenalter.
Wie aber will man verhindern, dass die Halligen und die Häuser volllaufen wie Badewannen, wenn Sturmfluten kommen? Ganz einfach, man besinnt sich auf das, was die Menschen hier seit Jahrhunderten gemacht haben, zieht nur das Tempo etwas an: Man lässt die Hallig einfach wachsen. Sedimente sollen sich vermehrt und gesteuert vor den Halligen ablagern und das Land erhöhen. Jedenfalls zur Meeresseite hin. Gen Festland soll die Hallig dann abflachen, damit das Wasser auch gut ablaufen kann.Je häufiger eine Hallig vollläuft, umso mehr kann sie wachsen, denn auch die Sedimente bleiben dann häufiger auf den Wiesen und Warften. Das zeigt sich aktuell bei Nordischstrandmoor. Dort ist 20-40 Mal pro Jahr landunter und die Hallig erhebt sich jedes Jahr um 4,2 Millimeter.
Zudem werden die neugebauten Häuser alle erhöht errichtet, manche sogar auf Stelzen. Ausgeklügelt sich das System noch nicht, aber man hat bereits angefangen, sich zu rüsten. Für jede Warft gibt es einen anderen Risikowert und einige Warften werden wohl auch aufgegeben werden, wenn der Pegel weiterhin steigt. Ein spannendes Thema, das mir Erco nahebringt.Es macht deutlich, dass sich der Klimawandel nicht nur in der Südsee oder der Arktis zeigt, sondern auch ganz nahe – bei uns.
Doch dann habe ich genug drinnen gesessen und will raus in die Nordseeluft. Erco zeigt mir seine Welt, in der es viel zu entdecken gibt. Etwa einen Zaun aus angespülten Schuhen – eine der ausgefallensten Sammlungen, die ich in den letzten Jahren gesehen habe. Oder die kleine Halligkirche, natürlich ohne Turm, aber mit einem Feigenbaum vor der Türe. Die St.-Johannis-Kirche stammt aus dem Jahr 1637 und ist nicht nur zu Weihnachten voll besucht. Hier finden Konzerte statt und viele Jugendgruppen kommen ebenfalls. Und – ja natürlich weiß der Pastor ganz genau, wer von den Halligbewohnern beim Sonntagsgottesdienst nicht dabei war.
Als wir uns auf den Weg zur Hallig machen, kommt uns ein schwarzhaariges Mädchen entgegen. „Wir haben auch eine Flüchtlingsfamilie aus Afghanistan aufgenommen. Sie fügen sich gut ein“, sagt Erco und freut sich sichtlich über den Zuwachs an der Halligschule mit den 4 Kindern.
Und dann finden wir ihn, den Platz, an dem ich stundenlang hätte sitzen und meine Gedanken einfach nur der Nordseeluft übergeben können: Ein Platz auf der Wiese, der Himmel spiegelt sich in den kleinen Kanälen, in der Weite das Haus der Kirchwarft auf einem Hügel – wunderschön einsam und natürlich. Keine Felder voller Mais oder Raps, sondern nur Wiese, Schafe und Marschland. Doch schon bald kommt ein Regenschauer und lässt mich aufbrechen.
Die Friesenstube Königspesel auf der Hanswarft ist meine letzte Station auf dieser Hallig. Eine alte Stube, in der einst der dänische König Friedrich VI. Schutz gefunden hat, weil er von einem Sturm überrascht worden war. Blau-weiße Fliesen an den Wänden, eine kleine Küche, alles sieht aus wie vor 200 Jahren. Ein wunderbarer Einblick in das Leben von früher.
Schade, dass meine Fähre schon wieder zurück fährt. Ich wäre gern noch geblieben auf Hooge. Am besten über Nacht, denn Aufwachen an einem solch stillen Ort muss etwas ganz Besonderes sein.
Informationen Hallig Hooge
Hallig Hooge ist nach Langeneß die zweitgrößte der deutschen Halligen und zählt 95 Bewohner. Hooge ist die am meisten für Touristen erschlossene Hallig, Ferienwohnungen gibt es hier auch. Sie ist mit der Fähre vom Fährhafen Schlüttsiel erreichbar, die Fahrt dauert etwa eine Stunde. Es gibt aber auch eine Verbindung zwischen Sylt, Hooge und Nordstrand, die ist mit den Adler-Schiffen zu erreichen.
Das Friesenhaus Königspesel ist nicht das einzige Museum auf der Hallig, denn auch das Heimatmuseum informiert über die Geschichte. Bei der Touristeninfo gibt es zudem ein Erlebniszentrum Mensch und Watt, das über den einzigartigen Schutzraum Nordsee und Watt Auskunft gibt, dabei ist auch eine Forscherstation für Kinder. Neben der Teestube gibt es noch weitere Restaurants auf der Insel sowie einen Fischbrötchenverkauf, einen Supermarkt und einen Souvenirladen.
Der Aufenthalt wurde unterstützt von Nordseetourismus – danke dafür.
16 Antworten
prima story, tolles erlebnis…
Eine Hallig steht auch noch auf dem Programm 🙂
Danke lieber Peter. Ja, das war es!
Da kannst du aber mit dem Rad nicht so Strecke machen wie sonst 😉 Danke fürs Vorbeischauen! Und liebe Grüße
Ich bin begeistert von diesem Beitrag. Besser hätte man das Leben auf einer Hallig nicht beschreiben können. Was mir auch auf einem Bild aufgefallen ist sind die 2 Metall oder Kupfer ähnliche Wärmeflaschen auf dem Herd. Sowas hatte meine Mutter auch noch daran kann ich mich gut erinnern. Man nannte die auch Bettflaschen !! Ferner das Facebook von heute ( Dorfaushang ). Ich denke hier ist die Welt doch noch ein Stück stehengeblieben ! Ich denke aber auch,dass hier das Leben auf einer Hallig Vor und Nachteile bietet und von unserem heutigen Alltagsstress bleibt man doch im allgemeinen verschont ( glaub ich auf jeden FAll ) !!!! Das sich die Klimaveränderung, die immer mehr werdenden Stürme bemerkbar machen glaub ich aufs Wort ! Wer weiß wie lange diese Halligen noch Bestand haben ! Also Andrea mein Fall wäre so eine Hallig nicht , aber ich danke für den tollen informativen Beitrag !!!! LG Manni
Schöne Bilder von der Hallig und du hast alles so toll beschrieben, dass ich mir die Hallig richtig gut vorstellen kann. Einen Besuch auf der Hallig möchte ich auch gerne mal machen
LG Andrea
Liebe Andrea,
in Gedanken habe ich Dich auf Deinem herrlichen Halligbesuch begleitet. Sogar den Regen habe ich genossen. *lache*
Halligen sind einfach zu schön um nicht zu überleben.
Die Menschen sind zu bewundern, wie sie für Ihre Zukunft dort kämpfen.
Lieben Gruß,
Lilo
Liebe Lilo, ach danke, deine lieben Worte freuen mich sehr! Ja, die Menschen habe ich auch sehr bewundert und ihre Ruhe und Gelassenheit machen einen Großteil der Halligstimmung aus. Liebe Grüße
Danke dir, liebe Andrea! Solche Feedbacks freuen mein Bloggerherz doch immer sehr. Dann wünsch ich dir mal, dass du es an die Nordsee schaffst. Liebe Grüße
Lieber Manni, ja, die Wärmflaschen sind ne Wucht, oder? Insgesamt ist das Leben auf der Hallig eine Zeitreise gewesen. Da jedes Möbelstück und alles schwer hinzutransportieren und abzutransportieren ist, ist dort auch in vielen Häusern die Zeit stehen geblieben. Das hat mich auch zum Nachdenken über unseren Wahnsinn gebracht, alles neu haben zu müssen, weil man das Alte nicht mehr sehen kann. Der Dorfaushang ist auch mein Favorit, ist ja auch noch in der Facebookfarbe :-). Siehst du, so bist du doch noch auf die Hallig gekommen, auch wenn es nicht dein Fall wäre und du dort nie hinreisen würdest. Das mag ich so am bloggen. Ganz liebe Grüße in den schönen Süden
diese wiesen, die flache landschaft und diese häuser… ach ich könnte mir eigentlich ganz gut vorstellen, mir dort mal für ein halbes jahr eine auszeit zu nehmen. oder wenigstens für ein monat. es sieht so aus, als könnte man da richtig gut mal durchatmen und wäre weit, weit weg von all dem irrsinn des 21. jahrhunderts.
Ja, liebe Paleica, genau das ist es auch. Perfekt für eine Auszeit von unserem Irrsinn und sich mal wieder mit der Natur verbinden. Da fällt mir ein, dass es auf Hooge auch die Aktion „Hand gegen Koje“ gibt, da kann man seinen Freiwilligendienst ableisten gegen Kost und Logis. Finde ich eine großartige Sache. Also, falls du mal aus dem Süden raus musst…
Sie steht schon so lange auf meinem Reiseplan, die Hallig Hooge .Ich konnte sie bis jetzt immer nur bei gutem Wetter, und klarer Sicht von der Hamburger Hallig aus sehen . Ich mag es auch, die Ruhe und Abgeschiedenheit. Dazu rund um das Haus,Natur pur. Grade jetzt zu dieser Zeit, ist sie voll mit Wintergästen aus den östlichen Regionen . Ringel, Bläss ,Saat und sibirische Graugänse verbringen die kalte Jahreszeit dort .
Lieber Werner, Hooge ist wundervoll. Aber ich fand ja Nordischstrandmoor auch richtug beeindruckend… Halligen sind etwas ganz Besonderes. Und für Vogelfreunde sowieso. Lass es dir gut gehen
Ein Stück Heile Welt!
Die Stille und die Weite in der man sich besinnt ……
Einfach herrlich. Toll in Worte gefasst!
Danke, liebe Sabine