Wandern im Deister ist ja immer schön, vor allem jetzt im Frühling. Ich bin oft im Deister unterwegs, schließlich wohne ich dort. Aber noch immer habe ich längst nicht alles erkundet. Den Taternpfahl etwa habe ich noch nie gesehen. Höchste Zeit, das einmal zu ändern.
Der berühmte Taternpfahl im Deister
Wieviel hatte ich schon von ihm gehört, dem berühmten Taternpfahl, dem eigentlich eine nicht so rühmliche Geschichte zugeschrieben wird. Soll er doch einst die Grenzstelle zwischen Wennigsen und Springe markiert haben. Der Name „Tatern“ ist eine regionale Form des heute nicht mehr gebräuchlichen Wortes „Zigeuner“, das als abfällige Bezeichnung der Sinti und Roma gilt. An diesem Taternpfahl also haben einst die Sinti und Roma anhalten und drei Tage ausharren müssen, bevor sie von einem berittenen Jäger nach Springe begleitet wurden. Dort sind sie meistens dem Handwerk der Kesselschmiede nachgegangen, manche sollen auch Wahrsagerei betrieben haben. Nur drei Tage duften sie bleiben, dann wurden sie auch dort ausgewiesen und mussten weiterziehen. Der Taternpfahl im Deister markiert also eine Stelle, an der Menschen ihrer Herkunft wegen diskriminiert worden sind. Denn dieses Prozedere mussten wohl nur die Sinti und Roma durchlaufen.

Auch wenn diese Praktiken schon fast 300 Jahre vorüber sind, ist der Pfahl bis heute geblieben. Doch er ist eher ein beliebtes Ausflugsziel denn ein Mahnmal. Und nachdem mir schon so viele Menschen vom Taternpfahl vorgeschwärmt hatten und sogar meine Tochter schon dort war, wollte ich auch endlich mal hin.

Auf dem Rücken der Pferde
Das erste Mal nahmen wir Anlauf per Pferd. Mit meiner liebsten Pferdefreundin bin ich von mir aus in den Deister geritten. Das an sich war einfach schon ein unglaubliches Erlebnis. Auf dem Weg zum Taternpfahl sagte meine Begleiterin dann, dass sie sich immer an dieser Stelle verlaufe, pardon – verreite.. Zwar immer den Weg zurück fände, aber oftmals dort auf anderen Wegen ankäme, als geplant. Nun denn. Ich war sowieso viel zu geflasht vom Erlebnis, den Deister vom Pferderücken aus zu entdecken, als dass ich mir den Weg so merkte. Ich nahm nur die Schilder „Taternpfahl“ wahr und mir vor, dort noch mal zu Fuß hinzugehen. Doch bis es soweit war, genoss ich erstmal den herrlichen Ausritt in unser Hausgebirge. Tatsächlich ist es dort auf dem Pferderücken am allerschönsten. Ich könnte dort täglich reiten, wenn ich nur könnte…

Doch das ist eine andere Geschichte. Ich bin eben noch öfter zu Fuß unterwegs. Vor einigen Tagen dachte ich: „Heute aber, da schaffe ich es zum Taternpfahl“. Schnappte mir die Hundeseniorin und wanderte los, vom Ort Steinkrug aus. Dort befindet sich eine wunderschöne Glashütte.

Die Glashütte in Steinkrug
Der kegelförmige Turm ist übrigens eine Besonderheit, die ziemlich einzigartig in Deurschland ist: Es ist eine ehemalige Glashütte der Familie Knigge. Ja, genau die Knigges, die mit ihren Benimmregeln berühmt geworden sind. Eben jene Familie Knigge hat ihren Sitz in Bredenbeck, dem Nachbarort von Steinkrug. Übrigens auch hübsch am Fuße des Deisters gelegen. Bis heute gehört der Wald in diesem Bereich des Deisters der Familie Knigge. Und da er auch schon im 19. Jahrhundert in den Händen der Knigges war, kam die adelige Familie auf die Idee, in Steinkrug eine Glasfabrik einzurichten.

Immerhin hatten sie genug Holz, um die Glasproduktion anzuheizen, Quarzsand kam aus dem nahen Holtensen und Kalk aus Völksen. Ideale Bedingungen also für eine Glasfabrik. So ging die Produktion von Bier- und Medikamentenflaschen an den Start, bis zu 120 Menschen arbeiteten dort. Bis ins Jahr 1928 lief der Betrieb. Noch heute kann man rund um das Gelände Scherben der einstigen Flaschen finden, manche in wunderschönem Eisblau. Meine Kinder haben dort oft nach gläsernen Schätzen gegraben.

Deister-Wandern ab Steinkrug
Doch Steinkrug ist ja nur der Ausgangspunkt der Wanderung zum Taternpfahl. Von dort aus geht es erneut zu den Knigges. Am eingezäunten Privatfriedhof vorbei immer ein wenig bergauf gen Süden. Als ich am Friedhof vorbei schlenderte, stand Herr Knigge dort übrigens höchst persönlich und stattete seinen verstorbenen Vorfahren einen Besuch ab.

Durch wunderschöne Buchenwälder, vorbei an den deistertypischen Bärlauchfeldern geht es immer bergauf. Der Wald wandelt sich zu einem Fichtenwald. Schroffe Gesteinsformationen begleiten die Wanderung, manche haben sogar Gesichter.

Umkehr und zweiter Versuch
Ich war mitten im Fichtenwald, als mir einfiel, dass ich noch einen Termin hatte. Ich fragte kurz Google, wie lang ich denn noch zum Taternpfahl gehen müsste und stellte fest, dass das nicht zu schaffen war. Es wäre sowieso schwierig gewesen, denn die Strecke von Steinkrug aus misst mehr als 5 km in eine Richtung, für meinen Seniorenhund wäre das ein bisschen zu anstrengend gewesen. Also kehrte ich um und am nächsten Tag mit einer Freundin zurück zum Wanderweg zum Taternpfahl. Fest entschlossen, dass es dieses Mal klappen müsste. Der Seniorenhund war nun kuschelig mit den Kindern zu Hause, wurde von den Mädels betüddelt, ich hatte den Jungspundhund an der Leine und es konnte losgehen.

Die Streitbuche im Deister
Erneut Start an der schönen Glashütte vorbei am Privatfriedhof der Knigges (dieses Mal ohne Herrn Knigge) und bergan. Wir genossen die wunderbare Landschaft und verquatschten uns ziemlich schnell, denn wir hatten uns fast ein Jahr nicht gesprochen. Irgendwann aber fiel uns auf, dass auf den Schildern nicht mehr „Taternpfahl“ stand. Dafür aber andere, interessante Dinge.

Wir fanden „Die Streitbuche“ (leider mit Unmengen Plastikmüll davor). Der Name Streitbuche kommt übrigens nicht von ungefähr, immer wieder kam es an diesem Ort zu Streitigkeiten, wem dieses Stück Land zuzurechnen sei: Der Stadt Springe, den Knigges oder Bredenbeck? 1850 soll sogar ein Förster, der für Knigges arbeitete, das Fällen der Buche verhindert haben und mit geladenem Gewehr darüber gewacht haben. Schließlich markierte der Baum ja den Grenzverlauf. Und wäre der Baum weg gewesen, hätte man die Grenze neu ziehen können. Deswegen also Streitbuche.

Panorama vom Feinsten
Doch nicht die Streitbuche ist es, die den Blick an dieser Stelle auf sich zieht, sondern der Ausblick. Mittlerweise befindet sich der Wanderer nämlich auf dem Kammweg des Deisters, also ganz oben auf unserem Berg, dessen höchste Erhebung übrigens der Bröhn (ganz im Westen des Deisters gelegen) mit seinen 405 Metern ist. Das Panorama ist wirklich wunderschön und dem Borkenkäfer sei leider Dank, kann man es jetzt auch voll genießen, denn diese Stelle des Deisters ist grade baumlos wie eine Alt-Herren-Glatze, auf der sich hin und wieder mal ein Haarstoppel verirrt hat, in diesem Fall ein Baumstumpen.

Der Gaußstein am Deister
Gegenüber befindet sich auch der Gaußstein, Schilder klären dort Besucher auf, dass an dieser Stelle einst Carl Friedrich Gauß das Königreich Hannover vermessen haben soll. Ganz schön was los in meinem Hausgebirge!

Weiter ging es also für uns auf dem Kammweg, doch der Taternpfahl war nicht mehr ausgeschildert. Wir setzten unseren Weg munter fort, bis uns einfiel, wenn wir noch im Hellen wieder zurück sein wollten, dann sollten wir vielleicht doch mal umkehren. Das taten wir auch, fanden wunderschöne Wege mit noch schöneren Blicken, aber wo war bloß der Taternpfahl?

Keine Chance, wir haben ihn nicht gefunden. Also werde ich demnächst wohl noch mal diese Strecke wandern müssen, denn wir waren schon ganz nah dran, sind nur zu schnell umgedreht. Doch es gibt Schlimmeres. Eigentlich freue mich mich schon, denn sicher werde ich wieder eine Menge neuer Dinge finden. Und dann vielleicht ja auch den Taternpfahl…

Update: 3.5.: Ich habe den Taternpfahl gefunden und kenne jetzt alle Wege dorthin. Irgendwann schreibe ich auch noch auf, welcher der schönste ist. Hier erstmal das Beweisbild.
