Advent ist die schönste Zeit, ins Elsass zu fahren. Zwischen Straßburg und Ungersheim sind nicht nur Häuser und Straßen schömn geschmückt und Weihnachtsmärkte locken, sondern an vielen kleinen Handwerksbetrieben und Geschäften breitet sich richtiger Weihnachtszauber aus. So wie früher. Auf ins Wunderland Weihnachten im Elsass.Rot glänzen die Backformen im Dämmerlicht des Weihnachtsmarktes. Jeder weiße Tupfer ist anders, mal wölbt er sich weit vor, mal hatte der Töpfer nur noch wenig Farbe auf dem Pinsel. Handgemachte Kuchenformen – genauso wie mein erster Mini-Gugelhupf in der Puppenstube. Nun liegt er da, in echter Größe, nicht eine, sondern Dutzende getöpferter Schüsseln stapeln sich in dem kleinen Holzhäuschen auf dem Weihnachtsmarkt in Straßburg.
Silikon statt Keramik?
Erinnerungen laufen wie ein Film in meinem Kopf ab, Weihnachten, die Miniaturmöbel und der kribbelnde Bauch. Wo steckt eigentlich das friedliche Gefühl von damals? Beim Erwachsenwerden ist es irgendwo auf der Strecke geblieben. Ein wenig wehmütig wird mir ums Herz, als ich auf die Gugelhupfformen schaue und mich erinnere, wie sehr ich mich früher noch auf Weihnachten freuen konnte. Nicht nur die rote, Wärme ausstrahlende getöpferte Gugelhupffom hat sich in den Küchen in leichtwaschbare Teflonstücke verwandelt, mein ganzes Weihnachten hat irgendwie die Romantik verloren. Praktisch statt stilvoll ist es geworden, stressig statt friedlich. Wer benutzt in Zeiten von Silikon noch Backformen aus Keramik?
„Bei uns im Elsass haben sie eine lange Tradition“, erklärt der Verkäufer. „Viele Familien backen damit bis heute. Die Rezepte für die Kuchen bleiben aber meistens Familiengeheimnisse“, sagt er schmunzelnd und schwärmt von salzigen Varianten mit Speck oder den süßen, so herrlich mandelgeschmückten. Mir läuft das Wasser im Mund zusammen und ich bemerkte den süßen Duft. „Dort drüben haben unsere Konditoren ihre Weihnachtsbackstube aufgebaut, vielleicht verraten die Ihnen ja ein Rezept“, sagt der Töpfer.
Weihnachtsplätzchen auf Französisch
Während draußen zwischen den kleinen Holzhütten ein kalter Wind weht, empfängt mich im Zelt mit den großen Backöfen eine angenehme Wärme. Bäckermeister Martin Riegel rollt gerade ein Stück braunen Teig in einer Edelstahlschüssel und winkt mich zu sich. „Wollen Sie mit uns Kekse backen? Kommen Sie!“ sagt er und drückt mir, ohne meine Antwort abzuwarten, ein Nudelholz in die Hand. Meine Güte, lässt der Teig sich schwer rollen. Ich spüre, wie mir vor Anstrengung die Röte in die Wangen fährt. Bei Riegel sieht es so spielend leicht aus. „Er ist so fest, damit er nachher nicht an den Förmchen klebt“, ertappt er mich bei meiner Mühe. Mit bemehlten Fingern steche ich Sternchen aus merke, wie die Neugier in mir aufsteigt, die Plätzchen zu probieren. Nach nur zehn Minuten sind die typisch elsässischen „Bredele“ fertig gebacken – köstlich dieser zarte Hauch von Zimtaroma und der Geschmack gebackener Butter. Mit den Keksen in der Tasche schlendere ich durch die Stadt, auf die sich gerade die Nacht senkt.
Weihnachten im Elsass – magische Blaue Stunde
Während sich der Himmel in mein Lieblingsblau verfärbt, so dunkel und geheimnisvoll, gehe ich zur Ille, dem Fluss, der Straßburgs Altstadt Petite France wie eine Insel umschließt. Weiden, deren Baumkronen an barocke Reifröckchen erinnern, sind mit Sternen und Lichterketten verziert, aus den Fachwerkhäusern strömt gelbes Licht – und alles spiegelt sich im Fluss. Straßburg gilt nichtumsonst als Frankreichs Weihnachtshauptstadt. Während an den Ständen Glühwein, getrocknete Pilze, mundgeblasene Weihnachtsbaumkugeln und getrocknete Pilze und Trüffel verkauft werden, hängt der Himmel voller Kristallleuchter – echte Lüster funkeln wie tausend Sterne. Die Illumination ist farbenfroh, aber die Töne sind aufeinander abgestimmt, nichts blinkt oder ist kitschig – einfach nur schön. Am Place de Meuniers wärmt heißer Apfelsaft mit Zimtaroma meinen Bauch. Einzig Schneeflocken fehlen, sonst wäre die Winterstimmung perfekt.
Mitmachen beim Töpfer
Weiter geht es nach Soufflenheim, dem Dorf der Kuchenformen. Für elf Euro nehme ich meine Gugelhupf-Kindheitserinnerung mit und fahre weiter nach Betschdorf. Die Fachwerkdörfer Betschdorf und Soufflenheim gelten als Töpfereihochburgen Frankreichs – und die von Vincent Remmy ist wahrscheinlich die älteste des Landes. Er begrüßt mich mit tonverkrusteten Fingern. Seine wasserblauen Augen leuchten und ein wenig Staub fällt aus seinen braunen Locken, als er berichtet, dass die Remmys seit 1568 an diesem Ort töpfern.
Seine Werkstatt atmet die Atmosphäre von Kreativität. Pinsel, Farbeimer, Holzstäbe und viele halbfertige Figuren – hauptsächlich Engel, stehen auf alten Holztischen. Für ihn ist klar, dass nicht nur das traditionelle Elsässer Sauerkraut einen Tontopf braucht. „Auch Tee und Kaffee bleiben in Ton länger heiß und bewahren ihr Aroma.“ Seine Liebe zum Material ist ansteckend und ich male eine Dose an. Ich pinsele drauf los mit Weiß, das eigentlich grün werden soll und konzentriere mich so stark, dass ich alles um mich herum vergesse. Am Abend hole ich meine Dose ab – sie ist tatsächlich eine Überraschung geworden, alle Farben sind viel kräftiger und erdiger, als ich mir vorgestellt hatte.
Bunte Häuser und altes Leben
Nach einer Übernachtung im Nachbardorf und einem leckeren vegetarischen Flammkuchen mit Schafskäse und Spinat sowie dem typischen Pinot Noir mache ich mich auf gen Mühlhausen. Es nieselt fein gegen meine Frontscheibe. Was hier als Regen herabfällt, bepudert als Schnee die nahegelegenen Hänge. An den Vogesenausläufern thront das Château du Haut Kœnigsbourg wie ein Adlerhorst an den Hängen. Mit seinem Burgfried und den massiven Mauern gleicht es einem Bilderbuchschloss. In kleinen weidenumflochtenen Beeten ist der Grünkohl schneebepudert und frosterstarrt wie ein Kunstwerk. Verzaubert linse ich aus den mit Eiszapfen verzierten Scharten in die Weite. Vor mir breitet sich die hügelige Landschaft des Elsass aus wie das Winterwunderland. Die bunten Häuser des Ecomusées in Ungersheim konnte ich nicht aus der Ferne sehen, aber von nahem schließe ich sie gleich in mein Herz mit ihren türkisgrünen, gelben oder rosafarbenen Fassaden, durchbrochen von schwarzem Fachwerk. Mehr als 70 alte Häuser wurden hier wiederaufgebaut als Zeugen des Lebens vor 180 Jahren. Ein Schmied hämmert ein Hufeisen mit lautem Pling zurecht und eine Magd in langem Leinenkleid und blauem Kopftuch füttert gerade die Esel. Und vor mir hängt ein Tannenbaum von der Decke. Er baumelt tatsächlich an einem Faden, was für eine geniale Idee, somit hängt er automatisch gerade und der Streit um die schiefe Spitze kommt gar nicht erst auf. Rot polierte Äpfel drehen sich an seinen Zweigen und Oblaten flattern im Wind. An der dazugehörigen Infotafel lese ich, dass der Tannenbaum wohl im 17. Jahrhundert im benachbarten Sélestat das erste Mal schriftlich erwähnt wurde.
Geburtsstätte des Tannenbaums
Das Elsass ist also die Geburtsstätte des Tannenbaums, der die Gläubigen Christen einst an den Paradiesbaum und die Früchte der Versuchung erinnern sollte. Deswegen wurde er auch mit Äpfeln geschmückt. Nach und nach wurden daraus Glaskugeln, später Schokolade und heute kennt kaum noch jemand den Ursprung des Brauchs. Von Heimatforscherin Denise Kayser erfahre ich später, dass Tannen und Stechpalmen mit ihrem Piksen das Böse ab, rote Kerzen und Kugeln stehen für das Leben und Kerzen für das wiederkehrende Licht. „Die Tage waren kurz, die Nächte schwarz und die Menschen suchten Zuflucht vor den dunklen Kräften.“ Was für ein schönes Ritual, Licht in die Dunkelheit zu bringen, denke ich später, als ich im Restaurant des Ecomusée auf den zwölften Gang warte. Ich habe ein echtes Weihnachtsmenü bestellt – und das dauert Stunden. Während ich an Steinpilzen, Kartoffeln und Rotkohl nasche, bemerke ich das leichte Kribbeln im Bauch. Ja – so will ich auch Weihnachten feiern – mit ganz viel Zeit, Geschenken, die liebevoll ausgewählt sind und vor allem mit Ritualen, die Sinn machen. Ich werde ganz viele Kerzen anzünden.