In einem kleinen Backsteinhaus nahe des Limfjords liegt eine ganz besondere Manufaktur: In Bøvlingbjerg betreiben Sara und Peder Frølund die einzige Hornwarenmanufaktur Dänemarks.
Das kleine Backsteinhaus in Bøvlingbjerg mit seinen Sprossenfenstern verströmt den Flair eines Handwerksbetriebes wie vor 100 Jahren: Gusseiserne Maschinen, verstaubte Schnittmuster aus Stoff hängen an einem riesigen Holzbrett und Menschen mit breiten Schürzen laufen durch die Räume. In der Hornwarenfabrik riecht nach Maschinenöl und Kuh. „Ein Traum“, stand für Sara Frølund schon immer fest. Sie war schon als junges Mädchen fasziniert von diesem alten Handwerksbetrieb. „Die alten Werkbänke, die Löffel aus Horn, das glatte Material“, schwärmt sie. Immer wieder besuchte sie die Werkstatt. „Aber ich hatte nie gedacht, dass ich eines Tages die Besitzerin werden sollte.“ Eines Tages aber hing ein Schild „Nachfolger gesucht“ im Fenster. Es sollte dort monatelang hängen, denn wer aber hatte schon den Mut, einen Betrieb zu übernehmen, der sich auf Kämme und Löffel aus Kuhhorn spezialisiert hatte? Die Einwohner in Bøvlingbjerg lebten lieber vom Tourismus oder der Landwirtschaft.
Sara arbeitete sie als Lehrerin auf der Ostseeinsel Fünen. Als sie beim Weihnachtsbesuch mit ihrer Familie einen Rundgang durch das Dorf machte, sah sie das Schild im Fenster in Bøvlingbjerg – und fing sofort Feuer und war bald stolze Besitzerin der einzigen Hornwarenfabrik Dänemarks.
Mit der Hornwarenfabrik setzt sie eine uralte Tradition fort. „Schon vor 3000 Jahren haben die Menschen aus den Hörnern der Kühe Haarspangen oder Löffel geschnitzt“, weiß Sara Frølund. Immerhin war der Löffel auf dem Land lange das einzige Besteckteil, die Bauern wischten ihn nach der Mahlzeit an der Hose ab und steckten ihn wieder ein. Doch bald wurde es schicker, vom silbernen oder zumindest vom Edelstahllöffel zu essen und Horn verschwand von aus den Besteckkästen.
Dass die Hornwarenschnitzerei überhaupt wieder nach Dänemark kam, ist übrigens auf einem Unfall zurückzuführen. Anfang des 19. Jahrhunderts kam ein dänischer Marinesoldat in englische Kriegsgefangenschaft. Dort lernte er die Kunst, aus Kuhhörnern Löffel zu schnitzen und brachte sie nach Skandinavien. Für die Bauern war es eine gute Zusatzeinnahme, denn die Felder im sandigen Heideboden in Jütlands Bøvlingbjerg warfen nicht genügend Ertrag ab.
Als Hornwarenmanufaktur hat tatsächlich nur der Betrieb in Bøvlingbjerg bis heute überlebt. Er fertigt nach wie vor Löffel, manche sogar nach Mustern wie vor 80 Jahren. „Und diese Tradition sollte verschwinden, genauso wie die einzige Hornwarenfabrik Dänemarks?“ fragt Sara Frølund kopfschüttelnd, während sie durch die alte Werkshalle schlendert.
Dort herrscht nostalgisches Flair. Statt Computern stehen dort schwere gusseiserne Werkbänke und Werkbänke aus massivem Holz. Durch die Sprossenfenster scheint das erste Morgenlicht auf wie Werkbank und bricht seine Strahlen in dem Staub.
Die Augen von Sara Frølund leuchten stolz hinter ihrer schwarzen Hornbrille, als sie den Rundgang beginnt. In einer Ecke stapeln sich malerisch hunderte von Kuhhörnern, die Kunsthandwerkerin greift eines der sich ein Horn, hält es prüfend ans Licht. „Nicht jedes Horn ist gleich, alle sind anders und haben eine andere Maserung. Dieses ist perfekt für einen schönen Salatlöffel“, erklärt sie und streicht eine Strähne aus den kurzen schwarzen Haaren zurück. Dann greift sie zu einem riesigen Holzbrett, an dem lauter Schnittmuster aus Stoff hängen – sie sehen aus wie platte Löffel aus verstaubtem Jeansstoff. „Ja, der Staub gehört dazu“, sagt sie und geht mit dem Horn zur Säge, um die erste grobe Form auszuschneiden. Computer oder andere Maschinen kann sie nicht gebrauchen, denn das Horn ist ein Naturprodukt. Hier braucht man einen Menschen, der bei jedem Löffel die Stelle mit der schönsten Maserung per Hand aussucht und das Horn auf kleine Risse oder Schäden prüft. „Das kann man nicht automatisieren, ein Computer weiß gar nicht, wo die Schönheit liegt“, weiß sie. Und genau darin liegt der Reiz des Materials. Die Hörner übrigens kommen schon lange nicht mehr von dänischen Kühen. „Das war sowieso paradox“, mischt sich nun Saras Mann Peder ins Gespräch ein. „Früher hat man die Kühe aus Dänemark in die Schlachthäuser nach Hamburg gefahren und wir haben von dort unser Horn wieder zurücktransportiert.“ Heute hat kaum eine Kuh zwischen Skagen und Sonderborg Hörner, sie werden schon vorher entfernt. Deswegen bezieht die Manufaktur die großen geschwungenen Hörner aus Nigeria.
Noch ist der Löffel gebogen wie ein Kuhhorn. Wie wird er glatt – und vor allem so schön durchsichtig? Sara Frølund lacht und zeigt auf eine schwere, schwarze Maschine. Sie dreht an einem Schraubstock, der Löffel wird mit Öl geschmeidig gehalten und biegt sich unter Druck in die gewünschte Form. Doch noch immer ist er rau und nicht schimmernd. „Das ist genau das, was Staub produziert“, erklärt die Firmenchefin. Tatsächlich wird der Löffel jetzt ans Schleifband gehalten und so lange geschmirgelt, bis er glatt ist wie ein Zahn. Und genau das ist das Besondere an dem Material. Es ist glatt, aber doch nie so kalt wie ein Metalllöffel. „Schon Babys greifen lieber zu Hornlöffeln“, weiß Sara Frølund.
Als sie die Fabrik übernommen hat, wusste sie, dass sie etwas ändern muss. „Mit Löffeln wie vor 150 Jahren kann man kein Geld verdienen“, erklärt sie. Sie hat das Sortiment nicht nur um Suppenkeller und Messer aus Horn erweitert, sondern vor allem um Schmuck. „Wir brauchen etwas Modernes.“ Anhänger, Ohrringe, Ringe, so durchschimmernd wie Bernstein, und doch mit ganz unterschiedlichen Nuancen: Beige, schilfgrün, honiggelb. Das Konzept geht auf, inzwischen exportieren die beiden sogar nach Deutschland.
Für Sara ist damit ein Traum in Erfüllung gegangen. Endlich kann sie sich nicht nur handwerklich betätigen, sondern sie gestaltet auch noch ihre ganz eigenen Stücke. „Die besten Ideen für neue Ohrringe oder Ketten habe ich kurz vor dem Einschlafen, deswegen liegen immer Zettel und Stift neben dem Bett. Kein Feierabend, aber dafür eine Werkstatt, die sie sich immer gewünscht hat.
Die Region:
Bøvlingbjerg liegt in Jütland, etwa 50 Kilometer nördlich von Ringköbing. Neben der Hornvarenfabrikken gibt es in dem 570-Einwohner-Ort noch die Glasmanufaktur: Gammelgård Glas. www.hornvarefabrikken.dk und www.gammelgaardglas.dk. Der Ort gehört zur Gemeinde Lemvig. Zu den Sehenswürdigkeiten in der Region gehören vor allem der Leuchtturm in Bovbjerg, das Naturschutzgebiet Klosterheide und der Limfjord im Norden. Wer als Familie dorthin reist, kann viel erleben – darüber habe ich hier geschrieben.
4 Antworten
Ein wirklich schöner Bericht, gerade wenn man sich für altes Wissen interessiert. Verrätst du, wie du auf diese Manufaktur gestoßen bist?
LG, Rabin
Liebe Rabin,
gerne verrate ich es, denn ich mag altes Handwerk ja auch sehr. Davon gibt es auch bald noch mehr 🙂 Also ich habe ganz oft am Limfjord Urlaub gemacht und da gibt es nicht so viele Toruristenattraktionen, so wird man schnell auf soetwas aufmerksam. Der Rest ist journalistische Spürnase 🙂
Viele Grüße
Andrea