Suche
Close this search box.
Suche
Close this search box.

Mittsommer in Grönland

Mittsommer in Grönland, eine Reise nach Ilulissat
Inhaltsverzeichnis

Mitternachtssonne – irgendwie mystisch, dieses Wort. Nirgendwo feiert man sie intensiver als in Grönland. Ein Ausflug nach Ilulissat zu einem Sommer, dessen Tage nie enden. Grönland – das hatte nach Kälte und Eisbergen geklungen, nach dicker Jacke, Stiefeln und Frieren. Aber nicht nach Sonnencreme, 30 Grad, T-Shirts, Vanilleeis und schwitzen. Die Sonne brennt auf meiner Nase und das Gefühl für die Uhrzeit habe ich hier 250 Kilometer nördlich des Polarkreises längst verloren. Sechsjährige strolchen um elf Uhr abends noch durch die Mooslandschaft hinter der Siedlung, während weiter unten der Fußballplatz mit Teenager-Torjägern gefüllt ist. Hier dösen nur die Schlittenhunde. Mit ihrem flauschig weißen Fell liegen sie auf Felsen, im Gras, auf Holzkisten und genießen die Wärme.

Mittsommer, Grönland, Ilulissat
Schlittenhund

Nicht nur die Menschen wissen: Jede Minute Sonne ist kostbar, bevor wieder der dunkle Winter kommt. Es riecht nach frischem Gras und tranigem Fisch. Der trocknet hier neben Strümpfen und Hosen auf den Leinen, als Futter für die Hunde, denn immerhin zählt Ilulissat mehr Huskys als Einwohner. „Wenn du den Alltag kennenlernen willst, musst du in eine Familie gehen“, hatte mir Tourguide Silverio Scivoli erzählt, als ich in seinem Büro nach Zimmern fragte. Und mit einem Augenzwinkern, wie es nur Italiener können, hinzugefügt: „Ist auch viel günstiger als die Hotels hier am Ort.“ Er empfahl mir Ove, einen Vater mit Tochter, den seine Frau verlassen hatte. „Sowas passiert auch hier oben“, fügte Silver achselzuckend hinzu. Und nun wohne ich im Zimmer eines Teenagers – mit Barbieposter über dem Bett und rosa Plastikgitarre im Regal. Anouk, die Tochter, ist nur selten zu Hause. Die Achtjährige spielt den ganzen Tag draußen und kommt manchmal erst weit nach Mitternacht nach Hause, während die Erwachsenen bis in den frühen Morgen auf den Balkonen sitzen. Es scheint, als schlafen die Grönländer nur im Winter. Sie haben ein Sonnendefizit, denn zwischen Ende November und Mitte Januar senkt sich wochenlange Nacht über das Polargebiet. Irgendwie logisch, dass jeder das Licht ausnutzt – ob zum Skateboardfahren oder einfach nur auf einem Stein sitzt und sich sonnt.

Sermeq Kujalleq – Gletscherfjord bei Ilulissat.

Ove ist auch unterwegs, der Inuk mit dem runden Gesicht und den fast schwarzen Augen, hatte mir aber beim Morgentee eine Wanderung zur Mündung des Gletschers Sermeq Kujalleq empfohlen. Auf starke Nachfrage nur, denn der Grönländer erledigt morgens – nordish by nature – wortlos seine Handgriffe fürs Frühstück. Der 60 Kilometer entfernte Sermeq Kujalleq ist mit einer Fließgeschwindigkeit von rund 20 Metern pro Tag einer der aktivsten Gletscher der Erde. Er produziert rund zehn Prozent aller Eisberge der Welt und manche vermuten, dass auch der berühmte Eisberg, auf den die Titanic gelaufen ist, von hier stammt.

Ein kleiner Wanderweg windet sich zwischen Schlittenhundewiesen und runden Felsen immer weiter bergab und führt zu einem Holzsteg und überbrückt so sumpfiges Gebiet. Ein gewaltiges Knacken, so als ob Holzbalken bersten, kommt in unregelmäßigen Abständen vom Fjord. Die Luft schmeckt mehr und mehr nach Schnee. Eine Bank an der Steilküste ist der perfekte Fern-Seh-Platz – dort hat sich schon ein einheimisches Paar niedergelassen und sieht dem Naturwunder zu. Eine riesige weiße und meterhohe Eisfront drückt sich ins Meer. Der Gletscher trifft hier auf den Nordatlantik und kalbt Eisberge hoch wie Hochhäuser ins hellblaue Wasser. Fischkutter bahnen sich mühsam ihren Weg hindurch und sehen dabei gegen die Eisriesen klein wie Kaulquappen aus. Der Fjord verengt sich zum Meer hin und wird flacher. Da aber der größte Teil des Eisbergs unter Wasser liegt und an der Mündung auf Grund läuft, müssen die Giganten zunächst abnehmen, um weiter zu kommen. Also liegt in der Bucht sozusagen ein Stau der Eisberge, die darauf warten, zu schmelzen, um weiter treiben zu können.
Wer genau horcht, hört es im Wasser prickeln wie Brausepulver. Im Schmelzen setzen Gletscherstücke Millionen Jahre alte Luftbläschen frei, die lange im Eis eingeschlossen waren. Sie sorgen für einen beeindruckenden Geruch.

Tatsächlich öffnen sich die Nasenlöcher gierig, saugen diesen Frische auf. So klar, mit dem Aroma von Schnee, dass die Lunge gar nicht genug bekommen kann. Die Luftbläschen erhöhen nicht nur an Land den Sauerstoffgehalt – auch das Meer bekommt dank der Klimaerwärmung mehr Oxygenium. Das wiederum fördert das Wachstum des Planktons – gut für die Wale.

Wenn dir dieser Artikel gefallen hat, wie wäre es mit diesen hier?

2 Antworten

  1. Die skandinavischen Länder (einschließlich Grönland) mit ihrem ganz speziellen „nordischen“ Licht sind für mich ein Traum. Nix wie wieder hin 🙂
    Deine Fotos machen Lust auf den Norden. 🙂

Wer schreibt hier?

Hallo! Ich bin Andrea Lammert. Als Wegreisende, Bücherschreibende und Bloggerin bin ich stets auf Achse.

Beliebte Artikel

Meine Bücher

Indigoblau wie...

...der Himmel zur blauen Stunde, tiefes Meer, das 3. Auge, ein Nazar-Amulett, mongolische Gebetsschals, der Mantel der Jungfrau Maria, Weite, Unendlichkeit und Harmonie, Türen in Marokko und Fensterrahmen in Griechenland, Tücher der Tuareg... und was fällt Euch zu dieser Farbe ein?

"Die Erde ist blau wie eine Orange"

Paul Eluard