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Madrid: Ein Besuch im Prado

Inhaltsverzeichnis

Ein Besuch im Kunstmuseum macht Spaß – vor allem, wenn man die Geschichten hinter den Bildern erfährt. Ich war im Prado und habe viel über die Alten Meister gelernt. Das Bild hängt eigentlich falsch. „Gehen Sie ganz nach rechts“, fordert Kunstexpertin Bibi Kraft auf und zieht ihre Besucher in eine Fensternische. „Sehen Sie, Sie dürfen das Bild auf gar keinen Fall nur von hier betrachten, sondern müssen am Bild entlang wandern“, fügt die quirlige Frau mit dem holländischen Akzent und den grau-blond melierten gelockten Haaren hinzu. Tatsächlich. Tintorettos „Die Fußwaschung“ verändert sich, je nachdem, wo der Betrachter steht. Und am besten geht der nicht frontal darauf zu, wie die Besucherführung im Prado es will, sondern nähert sich von rechts. Dann bewegen sich die Figuren wie im Film. Eine grandiose optische Täuschung! Selbst das rot-blaue Fliesenmuster wandelt die Form. Immer bleibt der Maler korrekt in der Perspektive. Die Figuren scheinen sich fast zu bewegen und dem Besucher nachzurücken. Etwa Jesus, der am rechten Bildrand vor Petrus kniet. Er bleibt plastisch wie von Michelangelo gemalt, verzerrt sich nicht, selbst wenn der Besucher am äußerst linken Bildrand steht. Auch die Arkaden, die den Blick freigeben auf einen Kanal in mit Gondel, gehen mit und werden mal schmal und dann öffnet sich der Torbogen wieder ganz weit. Faszinierend. „El Lavatorio“ gehört nicht zu den ganz großen Stars des Prado wie „Las Meninas“ von Velasquez oder die beiden nackten „Mayas“ von Goya.

Doch Tintorettos Fußwaschung ist vielleicht eines der erstaunlichsten Bilder des berühmten Madrider Museums. Bewegte Bilder in einem einzigen riesengroßen Gemälde. Kino des 16. Jahrhunderts auf der 5 Meter 30 breiten Leinwand.
Auch zwei italienische Ärzte haben den Zauber des Kunstwerks entdeckt. In ihren gut sitzenden, hellbraunen Anzügen gehen sie vor und zurück, wandern vom linken Bildrand nach rechts und können den Blick nicht vom Ölbild lösen. Es abzuschreiten, erfordert mindestens sechs Schritte. Und mit jedem ist das Bild anders. Die Ärzte stecken ihre grauhaarigen Köpfe zusammen, tuscheln fasziniert vor dem Meisterwerk. Eigentlich sind sie wegen der Goyas und Velasquez-Gemälde nach Madrid gereist, denn Kunst ist ihr Steckenpferd. Doch dann haben sie den Tintoretto gefunden. Während sich in den großen Kuppelsälen des Hauptteils vor den El Grecos, Rubens und Raffaels Menschentrauben vor den Gemälden bilden, finden sich vor dem Tintoretto nur vereinzelte Betrachter. Vielleicht, weil sie ein bisschen suchen müssen, um ihn im Gewirr der Gänge des ersten Stocks zu finden.

Der italienische Arzt blickt zum rechten Bildrand. Dort steht Jesus und wäscht Petrus die Füße, in der Bildmitte liegt ein braun-weiß gefleckter Hund. „Ungewöhnlich für die Werke jener Zeit, eigentlich standen zu der Heilige im Mittelpunkt, nicht ein Hund“, erklärt Bibi Kraft und rückt ihre schwarz-rote Hornbrille gerade.

Der Italiener kann nicht mehr an sich halten, er packt seine Kamera aus. Kaum drückt er auf den Auslöser, eilt schon eine Museumswärterin herbei, in dunkelblauer Uniform schreitet sie streng auf den Besucher zu und ordnet an: „Keine Fotos bitte.“ Es gelten strenge Gesetze in Spaniens Museum Nummer eins. Auch für Fremdenführerinnen. Wenn Bibi Gruppen durch den Prado führt, muss sie nach einer Stunde aufhören zu reden. Nur bei Einzelführungen darf sie länger sprechen. Immerhin kommen pro Jahr mehr als eine Million Besucher, also rund 2700 pro Tag, und da soll nicht ein babylonisches Gebrabbel über den Sälen liegen. Im Prado, gleich nach dem Pariser Louvre Europas Top-Kunstmuseum, herrschen die leisen Töne, andächtig wie in einer Kirche flüstern die Besucher vor den Bildern, viele halten sich den Hörer der Audioführung ans Ohr und vertiefen sich ganz stumm in die Werke.

Doch der Zauber vieler Bilder offenbart sich nicht, wenn der Besucher nur frontal davorsteht, sie kurz betrachtet und wieder geht. „Man muss sich Zeit nehmen, lieber nur wenige Objekte ansehen und dann wiederkommen. Sonst schwirrt einem der Kopf“, rät Bibi.

Die Führerin pickt aus den 3000 Gemälden und 10.000 Zeichnungen und Skulpturen des Prachtbaus die wichtigsten heraus, vergleicht sie mit anderen und zeigt Details, die eben nicht so bekannt sind.  Bibi, die eigentlich Juana heißt, ist mit Leib und Seele dabei, wenn sie solche Geschichten erzählt. Kunst ist ihre große Leidenschaft. Als die gebürtige Holländerin vor 40 Jahren nach Spanien kam, erfüllte sie sich einen Kindheitstraum. „Ich habe seitdem ich klein war und hörte, dass der Nikolaus aus Spanien kommt, immer davon geträumt, einmal in diesem Land zu wohnen.“ Sie bleibt erstmal in Barcelona und studierte Tourismus. Doch schon bald kommt sie nach Madrid und gründet dort eine Familie. „Ich habe mich sofort in die Madrilener verliebt. Sie sind so herzlich und charmant. Manchmal ein bisschen arrogant, aber sie haben einen ganz trockenen, ironischen Sinn für Humor.“

Las Meninas (1656), by Velazquez
Diego Velázquez, via Wikimedia Commons

Immer wieder zieht es sie in den Prado. Selbst wenn sie keine Besucherführungen hat, besucht sie das Museum. So sehr faszinieren sie die Alten Meister, dass sie mit 49 noch mal ein neues Studium anfängt: Kunstgeschichte. Und während sie mit beinahe schlafwandlerischer Sicherheit ihre Besucherin durch das Museum führt, beginnen ihre Augen zu strahlen, als sie vor ihrem Lieblingsmeister steht. „Velasquez“, sagt sie und in diesem einen Wort schwingt all ihre Begeisterung und Bewunderung mit. Da seine Meisterwerke zu den Höhepunkten des Museums gehören, hat der Prado Velasquez wichtigstes Werk auch ins Zentrum des Museums gestellt. In Saal 12 drängeln sich die Besucher vor „Las Meninas“. „Ich habe schon Australier erlebt, die nur dieses Bildes wegen nach Spanien gereist sind“, macht Bibi die Bedeutung des Gemäldes klar. Auf den ersten Blick scheint es sich um ein einfaches Bild der spanischen Prinzessin zu handeln. Doch es ist viel mehr als das: Es ist Selbstbildnis des Künstlers, Sozialstudie und Dokument des Hoflebens in einem. Wie virtuos Velasquez tatsächlich gemalt hat, zeigt sich an den blonden Haaren der Prinzessin, die wie Licht durchflutet wie Engelshaar vom Scheitel fallen.

Doch Bibis Besuchern will der Tintoretto nicht aus dem Kopf gehen. „Können wir noch mal hin“, fragt der Italiener. Als sie wieder dort sind, zeigt Bibi den beiden einen Trick, sie rollt ihren Prado-Plan zusammen und führt ihn wie ein großes Fernrohr ans Auge. „Das sollten Sie mal ausprobieren, suchen Sie sich ein Detail“, rät sie. Die goldene Kanne etwa im Vordergrund, mit der Christus seinem Jünger Petrus die Füße wäscht, wäre sogar ein Stilleben für sich. In jedem Detail zeigt Tintoretto seine große Kunst. Selbst der Faltenwurf der Tischdecke wirkt echt wie auf einem Foto. Doch experimentiert hat er vor allem mit der Perspektive. Bastelt sich Wachsfiguren und eine kleine Bühne, die er mit Kerzenlicht beleuchtet. Tagelang studiert er das Spiel von Licht und Schatten, bevor er anfängt zu malen. Noch mal schreitet der Italiener das Bild ab. Schüttelt den Kopf und kann diese meisterliche Kunst gar nicht fassen. Bibi lächelt: „Das ist der Zauber der Originale. Man kann eben doch nicht alles im Internet finden.“ Dieses große Kino gibt es eben nicht auf DVD. Sondern nur auf der Leinwand des Prado.

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6 Antworten

  1. Fabelhaft! Ich war erst ein einziges Mal im Prado und bin „führerlos“ im Stechschritt durchmarschiert. Das war schade … Muss unbedingt wiederholt werden. Liebe Grüße, Jutta

Wer schreibt hier?

Hallo! Ich bin Andrea Lammert. Als Wegreisende, Bücherschreibende und Bloggerin bin ich stets auf Achse.

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